Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
schienen.
»Ich kann diese gewöhnliche Frau nirgends entdecken«, sagte Robin, die sich weiter durch die Bilder der würdevoll trauernden Reichen und Schönen klickte. »Oh, sehen Sie mal … Evan Duffield!«
Er trug ein schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans und einen schwarzen Armeemantel. Selbst sein Haar war schwarz. Sein Gesicht schien nur aus scharfkantigen Flächen zu bestehen; eisblaue Augen starrten direkt in die Kamera. Er war größer, wirkte jedoch viel zerbrechlicher als die beiden Personen an seiner Seite: ein breit gebauter Mann im Anzug und eine ängstlich dreinblickende ältere Frau, die den Mund geöffnet hatte und mit einer Handbewegung den Weg für sie freizumachen versuchte. Das Trio erinnerte Strike an ein Elternpaar, das sein Kind von einer Geburtstagsparty abholte, weil ihm übel geworden war. Strike bemerkte außerdem, dass es Duffield trotz seiner augenscheinlichen Desorientierung und Trauer gelungen war, den Eyeliner korrekt aufzutragen.
»Sehen Sie sich diese Blumen an!«
Duffield wanderte den Bildschirm hinauf und wich der Aufnahme eines riesigen Trauerkranzes, dessen Umriss Strike zunächst für ein großes Herz hielt, bis er erkannte, dass es sich dabei um zwei aus weißen Rosen geformte Engelsflügel handelte. Auf einer kleineren Abbildung daneben war eine starke Vergrößerung der Trauerkarte zu sehen.
»›Lula, mein Engel. Ruhe in Frieden. Deeby Macc‹«, las Robin vor.
»Deeby Macc? Der Rapper? Also kannten die beiden sich persönlich.«
»Nein, das glaube ich nicht. Aber er hatte doch eine Wohnung im selben Haus gemietet, oder nicht? Außerdem hat er sie in mehreren seiner Songs erwähnt. Die Presse war ganz aus dem Häuschen, weil er dort einziehen wollte …«
»Sie scheinen sich ja gut auszukennen.«
»Ach, Klatschblätter und so«, sagte Robin ausweichend und durchforstete weiter die Fotografien.
»Was ist ›Deeby‹ überhaupt für ein Name?«, überlegte Strike laut.
»Das steht für seine Initialen: D. B.«, verkündete sie. »Sein richtiger Name ist Daryl Brandon Macdonald.«
»Sie mögen Rap?«
»Nein«, sagte Robin, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. »Ich kann mir solche Sachen einfach merken.«
Sie schloss das Fenster mit den Fotos und hackte weiter auf die Tastatur ein. Strike kehrte zu seinen eigenen Fotos zurück. Auf dem nächsten war Mr. Geoffrey Hook gerade dabei, vor dem Eingang zur U-Bahn-Haltestelle Ealing Broadway seine rothaarige Gefährtin zu küssen, wobei eine Hand auf ihrem breiten, leinenbedeckten Hintern ruhte.
»Sehen Sie mal, das habe ich auf YouTube gefunden«, sagte Robin. »Hier spricht Deeby Macc über Lula. Nach ihrem Tod.«
»Zeigen Sie her«, sagte Strike, rollte mit dem Stuhl näher zu ihr und, nach kurzer Überlegung, wieder ein Stück zurück.
Das grobkörnige, kaum acht mal zehn Zentimeter große Video zeigte einen großen Schwarzen in einem Kapuzenpullover, auf dessen Vorderseite ein aus zahllosen Nieten in Form einer Faust bestehendes Design prangte. Er saß in einem schwarzen Ledersessel und hatte sich seinem unsichtbaren Interviewer zugewandt. Er war kahl rasiert und trug eine Sonnenbrille.
»… Lula Landrys Selbstmord?«, fragte der hörbar britische Journalist.
»Das war echt abgefuckt, Mann, total abgefuckt«, antwortete Deeby und fuhr sich mit der Hand über den glatten Schädel. Er hatte eine sanfte, tiefe und heisere Stimme mit der fast unmerklichen Andeutung eines Lispelns. »Das passiert, wenn du Erfolg hast, Mann: Die hetzen dich zu Tode, die machen dich fertig. Das ist der pure Neid, mein Freund. Die Motherfucker von der Presse haben sie aus dem Fenster getrieben. Sie soll in Frieden ruhen, sag ich. Jetzt hat sie endlich ihren Frieden, Mann.«
»Das muss ein wirklich schockierendes Willkommen in London für Sie gewesen sein«, sagte der Journalist. »Ich meine, immerhin ist sie sozusagen direkt an Ihrem Fenster vorbei in den Tod gestürzt.«
Deeby Macc antwortete nicht sofort. Er saß nur still da und beobachtete sein Gegenüber durch die schwarzen Brillengläser.
»Ich war nicht dabei, Mann«, sagte er schließlich. »Oder kennst du jemanden, der das behauptet?«
Der Interviewer stieß ein ersticktes Kichern aus. »Du lieber Himmel, nein, aber nicht doch, ich …«
Deeby wandte sich jemandem zu, der neben der Kamera zu stehen schien.
»Yo, hätt ich meine Anwälte mitschleppen sollen oder was?«
Der Journalist gab ein wieherndes, kriecherisches Lachen von sich. Deeby wandte sich ihm wieder zu.
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