Der Sand der Zeit
es fort und versuchte, Jake zu umklammern, wie er es zuvor schon mit mir getan hatte.
Und dann tat Becker etwas, was mich eine Sekunde lang ernsthaft an seinem Verstand zweifeln ließ: Statt sich in Sicherheit zu bringen, blieb er einfach stehen und riß in einer dramatischen Geste beide Arme in die Höhe. »Halt ein!«
schrie er. »Ich befehle dir zurückzugehen. Du tötest Unschuldige!«
So beeindruckend seine Beschwörung auch klang, dem Wikinger schien sie herzlich egal zu sein. Statt sich in einem Funkenregen aufzulösen oder sonstwie möglichst dekorativ zu verschwinden, stieß er einen knurrenden Laut aus und grabschte abermals nach Jake.
Becker tauchte im letzten Moment unter seinen zupak-kenden Händen hindurch, aber wieder konnte er ihm nicht ganz ausweichen; die Faust des Kriegers streifte ihn an der Schulter, so heftig diesmal, daß er das Gleichgewicht verlor und mit hilflos rudernden Armen gegen eine Glasvitrine prallte, die unter seinem Gewicht zusammenbrach. In einem Hagel von Glasscherben und durcheinanderpurzelnden und zerbrechenden Ausstellungsstücken fiel er zu Boden.
Der Wikinger stieß ein triumphierendes Zischen aus und stürzte sich mit hoch erhobenen Armen auf sein wehrloses Opfer. Becker schrie auf, zog instinktiv die Knie an den Körper und stieß ihm die Füße in den Leib. Der Wikinger taumelte zurück, griff aber sofort wieder an. Becker versuchte, rückwärts davonzukriechen. Seine Hände tasteten über den Boden und bekamen einen schmalen verkrusteten Dolch zu fassen. Er riß die Waffe hoch und rammte sie dem Wikinger in die Brust, als sich der Riese erneut über ihn beugte.
Die Wirkung war erstaunlich.
Der Gigant prallte zurück. Er wankte. Ein stöhnender, schmerzhafter Laut entrang sich seiner Brust. Er brach in die Knie, stützte sich mit einer Hand ab, um nicht vollends vorn-
über zu fallen, und zerrte mit der anderen am Griff des Dolches, der aus dem verrotteten Leder seines Harnisches ragte. Langsam, als koste ihn die Bewegung unendliche Kraft, zog er die Waffe heraus.
Aber auch ich war mittlerweile wieder auf die Füße gekommen. Meine Rippen schmerzten noch immer höllisch, und jeder Atemzug brannte wie flüssiges Feuer in meinen Lungen. Vergeblich bemühte ich mich, die schwarzen Schleier vor meinen Augen wegzublinzeln. Fasziniert und entsetzt zugleich sah ich zu, wie der mumifizierte Wikinger den Dolch aus seiner Brust zog und langsam wieder auf die Füße kam. Die Wunde, die das Messer hinterlassen hatte, wirkte lächerlich gegen die schrecklichen Einschußlöcher der Magnum.
Und trotzdem hatte die im Verhältnis harmlose Waffe den Untoten sichtlich geschwächt!
»Ein Schwert!« keuchte Becker. »Robert ein Schwert!«
Ich begriff nicht wirklich, was er meinte, nicht bewußt,, aber etwas in mir hatte die Wahrheit längst erkannt, und dieses Etwas ließ mich ganz instinktiv, und ausnahmsweise sogar richtig, reagieren. Ich fuhr herum, rannte zu dem Glaskasten neben der Tür und suchte eine halbe Sekunde vergeblich nach irgendeiner Möglichkeit, ihn zu öffnen, ehe ich ihn kurzerhand mit dem Ellbogen einschlug. Das geschliffene Glas zerplatzte: Scherben und Fundstücke fielen zu Boden.
Ich bückte mich, hob das Schwert auf und wirbelte erneut herum. Die Waffe lag ungewohnt schwer in meiner Hand; das Metall war oxydiert und dick mit einer schwärzlichen Masse verkrustet und nur hier und da noch als Bronze zu erkennen. Aber wenn meine Vermutung stimmte, dann würde es seinen Dienst tun. Und wenn nicht, nun, dann brauchte ich mir wahrscheinlich keine Sorgen mehr um meine Zukunft zu machen …
Ich erreichte Jake Becker im gleichen Moment, in dem sich der Wikinger erneut über ihn beugte und mit seinen schrecklichen Händen nach ihm griff. Der Untote schien die Gefahr instinktiv zu spüren, denn er ließ plötzlich von seinem Opfer ab, sprang zurück und hob abwehrend die Hände vor das Gesicht.
Das Schwert mit beiden Händen haltend, holte ich zu einem mächtigen Hieb aus, und ließ die Klinge heruntersausen. Die Mumie prallte im letzten Moment zurück, so daß die Waffe ihren Schädel verfehlte, aber die schartige Klinge traf seinen Arm und grub sich knirschend durch den verrotteten Lederpanzer, der ihn umhüllte.
Der Gigant taumelte. Ich holte zu einem zweiten Schlag aus, aber das ungewohnte Gewicht der Waffe und der glatte Marmorfußboden ließen mich ebenfalls straucheln, so daß ich um ein Haar vom Schwung meines eigenen Hiebes von den Füßen gerissen worden
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