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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Krause
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1923 gebeugt haben. Täter im Rollstuhl oder mit Kinderwagen waren nicht auf dem Zettel, die hätte man im Flaschenzug zur Vernehmung zerren müssen.
    Jetzt, nach dem Umzug, hatten sie Platz, alles war aufgeräumt, weiß und praktisch. Bestimmt hatten die Bakterien sich schon mangels Beschäftigung suizidiert. Hier konntest du auf dem Linoleumboden eine erfolgreiche Herz-OP durchführen, ohne dass bei erwartungsvollen Keimen schon die Sektkorken knallten, wie im Krankenhaus.
    Als Ermittler hat er immer das Gefühl gehabt, mit der Atmosphäre der Löwengrube beim Vernehmen Verdächtiger spielen zu können. Die historische Kulisse war ein beeindruckender Verbündeter, wenn es galt, die Wahrheit herauszuquetschen. Die alten hohen Räume, das Parkett, der Geist des Hauses hatten sich stets eingemengt, düster und einschüchternd. Die Nazizeit hatte allerdings ihre eigenen Gespenster hinterlassen.
    Dass sie kürzlich unter der Außenfassade sechs Fresken vom Bruno Goldschmitt mit Darstellungen der Todsünden entdeckt hatten, passt für den Sandner. Die Wollust geht ab, die könnten sie in der Hansastraße an die Wand pinseln.
    Das Gebäude dort ist funktionell. Als hätte der Sandner seine Hoyer gegen eine billige Kopie aus China eingetauscht. Klimpern kann er auf der auch, aber es würden andere Lieder werden. Ohne Wärme, ohne Gefühl, ohne Spaß.
    »Jetzt sind wir hautnah bei den Nutten«, hatte der Kare den Umzug der Mordkommission in die Hansastraße kommentiert, worauf die Wiesner von ihm wissen wollte, ob er jetzt mittags immer außer Haus sein würde zum Lunch.

Betritt der Sandner sein Büro, stellt er sich gern ans Fenster. Aus Sicht der Kollegen ein kontemplativer Moment, ein Augenblick stiller Sammlung oder, weniger wohlmeinend interpretiert, eine Marotte. Es hat sich herumgesprochen, dass man da nicht stören sollte.
    Der Polizist blickt nach draußen. Er lässt sich gefangen nehmen von der Umgebung. Was da kreucht und fleucht, zeigt sich unbeeindruckt vom sandnerschen Mord- und Totschlag-Geschäft. Die staubgrauen Tauben mit den verkrüppelten Füßen etwa oder der Prospektausträger, der seine rostige Vespa vorbeischiebt. Falls sich Schäfchenwolken am Himmel tummeln, nehmen sie für ihn oft Gestalt an. Fratzen, die Münder zum O gerissen, zerfledderte Karikaturen oder Traumgespinste – sein windgeblasenes Wolkenorakel.
    Drache, Häschen oder Elefant wollen sich ihm schon lange nicht mehr zeigen. Verblichene Erscheinungen spielerisch-unbeschwerter Kindheit, während langweiliger Autotouren, um die ländliche Verwandtschaft zu beglücken. Den selbst gebackenen Zopf hat er sich dazumal mit geduldigem Stillhalten erdienen müssen, bis das Großtantenheer sich geräuschvoll schnaubend an ihm abgeschmatzt hatte.
    Mit verbundenen Augen hätte er sie alle an ihrer eigenen Geruchskreation aus Salben, Körperwässerchen, Schweiß und Bratensoßen erschnuppert. Jede umgeben von individueller Dunstwolke. Ein nicht unerheblicher Faktor war die empfangene Münze in seiner Hand, Beigabe zum Abschiedsbusserl. Metallene Hostie. Was tut man nicht alles für mageren Obolus?
    »Schaug amal, Josef, da sand Küh!«
    In berechenbaren Abständen hatte seine Mutter, mit gespieltem Entzücken, die rustikale Aussicht aus dem VW-KäferFenster kommentiert. Mit zehn hat er sich, bezüglich der Rindviecher, eine Winchester imaginiert, frühe Prägung durch die Sonntagswestern.
    Ritsch – Ratsch – Bamm! »Schaug amal, Mama, jetzt sands nimmer da!«
    Gerade mag es der Himmel schlicht, verschiedene Grautöne kombiniert, dafür würde es genügen, schwarz-weiß zu sehen, wie dem Aschenbrenner sein Schäfermischling.
    Zwei Minuten – und der Hauptkommissar hat das Gefühl, er wär gründlich mit dem Besen durchs Hirn. Den nächsten Schritt hat er parat. Gespannt ist er, wer den Dennis Weiß vor dem Ableben betüdelt hat – oder einfach mit Geld zugeschissen. Was tut man alles für Geld? Was zahlt sich aus? Hat sich der Weiß Dennis mit einer Winchester bewaffnet, um reinzuholzen in die Idylle?
    Der Sandner dreht sich um und lässt den Blick auf seinen Mitarbeitern ruhen. Keinerlei Reaktion erzeugt sein observatives Gehabe. Er ist kein Moses, der mit steingehauenen Geboten unter dem Arm vom Berg schreitet, das niedere Volk bangend an seinen Lippen hängend. Um ihn herum Business as usual.
    Uniformierte laufen ein und aus, vollgeschriebene Blätter in Händen, Drucker lärmen, der Kare und die Wiesner, lamentierend über Akten gebeugt,

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