Der Schatten des Horus
großzügige Spende in die Hand, bevor sie der Wachmann wieder ins Freie bugsierte.
»Was sollte das?«, polterte er los. »Du hast doch gehört, das kann nicht unsere Statue sein!«
Rascal tippte sich an die Stirn. »Das haben wir schon oft gedacht. Aber in Giza ist mir eines sofort aufgefallen: Der Kopf der Sphinx ist viel zu klein für den mächtigen Körper. Die Proportionen stimmen nicht. Ist dir so etwas bei irgendeinem anderen Standbild aufgefallen, das wir hier in Ägypten gesehen haben?«
Verblüfft musste Sid verneinen. »Die altägyptischen Steinmetze waren doch absolute Meister ihres Fachs.«
»Eben!«, unterstrich Rascal. »Das macht mich einfach stutzig. Als unser Freund da drin so seltsam gegrinst hat, haben bei mir die Alarmglocken geklingelt. Und weil dieser Mann zufällig in New York wohnt, sollte es nicht schwer sein, ihn zu befragen!« Sie zog ihr Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.
»Spricht da der Kaizer? Hier ist Rascal«, jauchzte sie nach einer Weile in den Hörer. »Entschuldigung. Nein, wir sind nicht mitten in einem Auftritt. Jurgen, du musst mir einen Gefallen tun.– Ja, ja, mir geht es wieder besser.– Es dreht sich um die Sphinx. Gehe zum Police Department und triff dich mit Leutnant Frank Domingo. Er ist Gerichtszeichner. Und noch etwas, mein Schatz: Sid benötigt dringend einen neuen Pass!«
54. Kapitel
New York, 5 . November 2007, 2 2 Uh r 30
Teuerste. Du hast mich ganz schön rumgescheucht. M r Domingo habe ich nicht angetroffen, aber seinen Kollegen Josh Carroll. Er hat mir ein paar interessante Dinge erzählt. Danach war ich heiß drauf, mehr zu erfahren. Vielleicht wird aus mir doch noch ein nützliches Mitglied der Gesellschaft und mein Studium war nicht ganz umsonst.
Fakt: Die Sphinx von Giza ist nicht aus Sandstein von nahen Steinbrüchen gebaut, sondern in einem Stück aus dem gewachsenen Fels gehauen. Als Erbauer gilt Pharao Chephren. Erstens, weil sie am Aufgang von Chephrens Taltempel zum Totentempel steht. Zweitens, weil das Gesicht dem alten Pharao so ähnlich sieht.
Hier kommt nun Leutnant Frank Domingo vom New York Police Department ins Spiel. Er ist Gerichtszeichner und Experte für Gesichtsidentifikation, einer der besten im ganzen Land. 1993 untersuchte er mit seinen hundertfach erprobten Methoden die Gesichter der Sphinx und mehrerer Chephren-Statuen. Sein Ergebnis fiel unzweideutig aus: Die Sphinx und die Statuen stellen zwei verschiedene Persönlichkeiten dar. Geht man also von der Ähnlichkeit aus, so war Chephren nicht der Erbauer. Man könnte Domingo glatt mögen, wenn er kein Bulle wäre ...
Da „ernsthafte“ Ägyptologen nicht um die Ecke denken und einmal von ihnen aufgestellte Behauptungen nicht mehr infrage stellen, muss man sich anschauen, was fachfremde Wissenschaftler zur Aufklärung beitragen können. Schon 1961 beschrieb der französische Mathematiker mit dem unaussprechlichen Namen R.A. Schwaller de Lubicz wellenförmige Erosionen am Körpe r – nicht aber am Kop f – der Sphinx.
Der Geologe und Paläontologe der Universität Boston, Dr . Robert Schoc h – anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Erosion von Kalkstei n – untersuchte Sphinx und Umgebung 1990, um diese Rätsel zu lösen. Überall fand er die scharfen Einkerbungen, die Wind und Sand hinterlassen, nicht aber bei der Sphinx. Er nannte die Spuren auf ihrem Körper „Lehrbuchbeispiele“ für heftige Regenfälle, die über Tausende von Jahren auf den Stein geprasselt sind. Das Problem bei der Sache: Zurzeit Chephrens, also circa 2550 v . Chr., lag das Plateau von Giza bereits wie heute in den Ausläufern der Sahara. Und die ist bekanntlich ziemlich trocken. Seit Jahrtausenden waren hier keine Regenfälle mehr vorgekommen, die eine solche Erosion des Felsens hätten verursachen können.
Das lässt nur einen logischen Schluss zu: Als die Sphinx in den Stein gemeißelt worden ist, lag das heutige Giza noch in der Savanne!
Daraufhin habe ich mit einer Tussi gesprochen, die einen echt abgefahrenen Beruf hat: Paläoklimatologin. Was so eine macht, willst du wissen? Sie berechnet und erforscht, wann in der Vorzeit welches Wetter geherrscht hat. Ich habe sie gefragt, wann es da rund um Kairo zum letzten Mal so geregnet hat, dass Felsen erodieren. Antwort: zwischen 15.000 und 5.000 vor Chr., also mindestens zweitausendfünfhundert Jahre vor der Herrschaft Chephrens. Wahrscheinlicher aber fand sie „gegen Ende der letzten Eiszeit“. Damit dürfte die Figur also
Weitere Kostenlose Bücher