Der Schatten erhebt sich
hatten? Er und Rand und Mat? Nicht seine Augen und das mit den Wölfen oder Rands Gebrauch der Macht. Das meinte er nicht. Wieviel von seinem Innern war überhaupt noch unverändert geblieben? Mat war der einzige von ihnen, der immer noch derselbe zu sein schien, vielleicht sogar in übertriebener Weise. »Weißt du von Manetheren?« »Wir wissen mehr von eurer Welt, als du glaubst. Und weniger, als wir glaubten. Lange bevor ich die Drachenmauer überquerte, habe ich Bücher gelesen, die uns Händler mitbrachten. Ich wußte von ›Schiffen‹ und ›Flüssen‹ und ›Wäldern‹, oder jedenfalls glaubte ich, sie zu kennen.« Bei Gaul klang das, als stammten diese Wörter aus einer fremden Sprache. »So habe ich mir damals einen ›Wald‹ vorgestellt.« Damit deutete er auf die verstreuten Bäume, die so viel kleiner und verkrüppelt waren, wenn man sie mit ihren Artgenossen im Tal verglich. »Etwas zu glauben heißt noch nicht, die Wahrheit zu kennen. Wie steht es mit dem Nachtläufer und den Abkömmlingen des Blattverderbers? Glaubst du, es war nur Zufall, daß sie zu diesem Wegetor hier kamen?« »Nein«, seufzte Perrin. »Ich habe unten im Tal Raben beobachtet. Vielleicht sind es nur Vögel, aber ich kann kein Risiko eingehen nach dieser Begegnung mit den Trollocs.« Gaul nickte. »Es könnten Schattenaugen gewesen sein. Wenn du das Schlimmste annimmst, kann es nur angenehme Überraschungen geben.« »Ich könnte jetzt eine angenehme Überraschung gebrauchen.« Perrin sandte erneut seine Gedanken hinaus, um Wölfe aufzuspüren, doch wieder war nichts von ihnen zu spüren. »Ich kann heute nacht möglicherweise etwas herausfinden. Vielleicht. Falls hier irgend etwas passiert, mußt du mir vermutlich einen Tritt geben, um mich aufzuwecken.« Ihm wurde klar, wie eigenartig das klingen mußte, aber Gaul nickte einfach nur. »Gaul, du hast noch nie meine Augen erwähnt oder sie auch nur besonders beachtet. Keiner der Aiel hat ihnen irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt.« Er wußte, daß sie jetzt im Feuerschein golden glühten.
»Die Welt verändert sich«, sagte Gaul leise. »Rhuarc und Jheram, mein Clanhäuptling, und auch die Weisen Frauen bemühten sich, ihre Gefühle zu verbergen, aber sie hatten kein gutes Gefühl dabei, als sie uns über die Drachenmauer schickten, um Ihn, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt, zu suchen. Ich glaube aber, die Veränderungen werden anders sein, als wir sie uns vorgestellt hatten. Ich weiß nicht, wie sie aussehen werden, aber eben anders. Der Schöpfer hat uns in das Dreifache Land gesandt, um uns zu formen und für unsere Sünde zu bestrafen. Aber wofür sind wir geformt worden?« Er schüttelte plötzlich reumütig den Kopf. »Colinda, die Weise Frau der Heiße-Quellen-Septime, sagt mir immer, daß ich für einen Steinhund entschieden zuviel nachdenke, und Bair, die älteste unter den Weisen Frauen der Shaarad, hat mir gedroht, daß sie mich nach Rhuidean schickt, wenn Jheram stirbt, ob ich will oder nicht. Und außerdem, Perrin, welche Rolle spielt denn schon die Augenfarbe bei einem Mann?« »Ich wünschte nur, daß alle so dächten.« Die Fröhlichkeit am anderen Lagerfeuer schien mittlerweile erloschen. Eine der Aielfrauen - Perrin konnte nicht erkennen, welche - übernahm mit dem Rücken zum Feuer die erste Wache, während sich die anderen Schlafen gelegt hatten. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Das Einschlafen sollte ihm leicht fallen, und dann würde er auch den Traum finden, den er brauchte. Er streckte sich neben dem Feuer aus und zog seinen Umhang über sich. »Denk daran: Gib mir einen Tritt, damit ich aufwache, falls es notwendig ist.« Der Schlaf umfing ihn bereits, als Gaul nickte, und der gewünschte Traum kam sofort.
Es war heller Tag, und er stand allein in der Nähe des Wegetors. Es stand da wie eine mit schwungvollen Friesen bedeckte Mauer, die überhaupt nicht an diesen Berghang paßte. Außer dem Tor gab es kein Anzeichen dafür, daß je eines Menschen Fuß diesen Hang betreten hatte. Der Himmel war strahlend blau, und eine leichte Brise vom Tal her brachte die Witterung von Hirschen und Kaninchen, Wachteln und Tauben mit sich, tausend ausgeprägte Gerüche, dazu Wasser, Erde und Bäume. Es war der Wolfstraum.
Einen Augenblick lang überwältigte ihn das Gefühl, ein Wolf zu sein. Er hatte Pfoten und... Nein! Er fuhr mit beiden Händen an seinem Körper entlang und war erleichtert, daß es wirklich sein eigener, menschlicher Körper war, gekleidet
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