Der Schatten erhebt sich
zehnmal so schlimm. Ich glaube, ich würde auch die Wache und die Kinder des Lichts immer um mich herum behalten. Aber das ist kein Gesprächsthema beim Essen.« Sie schaute sich auf dem Tisch um und nickte zufrieden. Die Perlen in ihren dünnen Zöpfen klickten. Als sie sich der Tür zuwandte, hielt sie mit einem leichten Lächeln inne. »Es ist Mode, die Speisen der Domani mit den Sursa zu essen, und natürlich richtet man sich nach der Mode. Aber... es ist ja niemand hier, der Euch zusehen könnte, ja? Falls Ihr Löffel und Gabeln haben möchtet, liegen sie unter der Serviette.« Sie deutete auf das Tablett am Ende des Tisches. »Guten Appetit.« Nynaeve und Egeanin warteten, bis sich die Tür hinter der Wirtin geschlossen hatte, dann grinsten sie sich an und faßten mit entschieden unziemlicher Eile nach dem Tablett. Trotzdem schaffte es Elayne als erste, Löffel und Gabel in die Finger zu bekommen. Keine der anderen hatte jemals so hastig essen müssen wie eine Novizin zwischen ihren Haushaltsaufgaben und dem Unterricht.
»Es schmeckt ja schon gut«, sagte Egeanin nach dem ersten Bissen, »wenn man es endlich in den Mund bekommt.« Nynaeve schloß sich ihrem Lachen an.
In den sieben Tagen, seit sie die dunkelhaarige Frau mit den scharfen blauen Augen und der langgezogenen Aussprache getroffen hatten, hatten beide sie richtig liebgewonnen. Sie bot ihnen eine erfrischende Abwechslung gegenüber Rendras ewigem Geschwätz über Haarmoden, Kleider, Teint, und auch den Blicken gegenüber, die ihnen auf der Straße immer wieder zugeworfen wurden. Zu viele Leute hier wirkten, als würden sie einem für eine Kupfermünze bereits die Kehle durchschneiden. Das jetzt war ihr vierter Besuch seit dem ersten Zusammentreffen, und Elayne hatte es jedesmal Spaß gemacht. Egeanin war so geradeheraus und strahlte eine solche Unabhängigkeit aus, daß sie die Frau bewunderte. Vielleicht handelte sie nur ein wenig mit allem, was ihr so zuflatterte, aber sie tat es sogar Gareth Bryne darin gleich, offen auszusprechen, was sie dachte und vor niemandem zu kriechen.
Trotzdem wünschte sich Elayne, daß sie sich nicht so oft getroffen hätten, daß also sie und Nynaeve nicht so häufig zum Hof der Drei Pflaumen gekommen wären, wo Egeanin sie treffen konnte. Die ständigen Unruhen und Ausschreitungen seit der Einsetzung Amatheras machten es fast unmöglich, unbehelligt durch die Stadt zu gehen, und das trotz der Begleitung durch Domons hartgesottene Seeleute. Selbst Nynaeve hatte das zugeben müssen, nachdem sie knapp einem Hagelschauer faustgroßer Steine entgangen waren. Thom versprach ihnen immer noch, eine Kutsche mit Gespann aufzutreiben, doch sie war sich nicht sicher, ob er besondere Mühe auf die Suche aufwandte. Er und Juilin schienen ausgesprochen glücklich darüber zu sein, daß sie und Nynaeve in der Schenke mehr oder weniger festgenagelt waren. Sie kommen selbst verschrammt und blutend zurück, aber wir sollen uns möglichst noch nicht einmal einen Zeh anstoßen, dachte sie trocken. Warum glaubten die Männer immer, sie müßten Frauen in Watte packen? Warum hielten sie ihre Verletzungen für weniger wichtig als die der Frauen?
Dem Geschmack des Fleisches nach zu schließen, sollte Thom sich wohl besser in der Küche hier umsehen, wenn er auf der Suche nach Pferden war. Der Gedanke daran, Pferdefleisch zu essen, drehte ihr fast den Magen herum. So wählte sie ein Schüsselchen, in dem sich nur verschiedene Gemüsesorten befanden: dunkle Pilzscheiben, roter Paprika und so etwas wie fasrige, grüne Schößlinge in einer hellen, scharfen Sauce.
»Worüber sollen wir heute sprechen?« fragte Nynaeve Egeanin. »Ihr habt uns schon beinahe jede Frage gestellt, die ich mir vorstellen konnte.« Jedenfalls fast jede, die sie auch zu beantworten in der Lage waren. »Wenn Ihr noch mehr über die Aes Sedai erfahren wollt, müßt Ihr als Novizin in die Weiße Burg gehen.« Egeanin zuckte unbewußt zusammen, wie immer, wenn jemand sie im Gespräch mit der Macht in Verbindung brachte. Einen Augenblick lang blickte sie finster den Inhalt einer der kleinen Schüsseln an und rührte drin herum. »Ihr habt Euch keine besondere Mühe gegeben«, sagte sie dann bedächtig, »vor mir zu verbergen, daß Ihr hier jemanden sucht. Frauen. Wenn es nicht zu weit geht, würde ich gern wissen...« Sie brach ab, als es an die Tür klopfte.
Bayle Domon trat ohne abzuwarten ein. Von seinem runden Gesicht war eine Mischung aus Nervosität und grimmiger
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