Der Schatten erhebt sich
mochte Egeanin ja jetzt hassen, aber die Frage war wirklich, was sie nun mit ihr anstellen sollten. Es war unklar, ob sie in Tanchico irgendein Verbrechen begangen hatte, und in jedem Fall schien die Miliz sowieso an nichts anderem interessiert, als die eigene Haut zu retten. Sie war eine Seanchan, sie hatte die Sul'dam und Damane benützt, aber andererseits behauptete sie, diese Bethamin freigelassen zu haben. Welches Verbrechen konnten sie denn bestrafen? Daß sie Fragen gestellt und von ihnen darauf Antworten erhalten hatte? Ihre Sympathie gewonnen zu haben?
»Ich würde Euch gern die Haut abziehen, bis Ihr glüht wie ein Sonnenuntergang«, grollte Nynaeve. Plötzlich wandte sie sich Domon zu. »Ihr habt sie gefunden? Ihr sagtet doch, ihr hättet sie gefunden? Wo?« Er trat von einem Fuß auf den anderen und rollte warnend die Augen in Richtung von Egeanins Rücken. Seine Augenbrauen hoben sich fragend.
»Ich glaube nicht, daß sie zu den Schattenfreunden gehört«, sagte Elayne, als Nynaeve zögerte.
»Das bin ich ganz gewiß nicht!« Egeanins Blick war wild und beleidigt.
Nynaeve verschränkte die Arme, um zu verhindern, daß sie wieder an ihren Zöpfen zog, sah die Frau finster an und ließ ihren Blick dann zu Domon hinüberschweifen. Es wirkte so anklagend, als sei er an dem ganzen Durcheinander schuld. »Wir haben keinen Raum, um sie einzusperren«, sagte sie schließlich, »und Rendra würde sicher auch den Grund erfahren wollen. Fahrt also fort, Meister Domon.« Er warf Egeanin einen letzten zweifelnden Blick zu. »Im Panarchenpalast, einer meiner Männer haben gesehen zwei der Frauen von Eurer Liste. Die mit den Katzen und die Frau aus Saldaea.« »Seid Ihr sicher?« fragte Nynaeve. »Im Panarchenpalast? Ich wünschte, Ihr hättet sie selbst gesehen. Es gibt ja schließlich mehr Frauen als nur Marillin Gemalphin, die Katzen mögen. Und Asne Zeramene ist nicht die einzige Frau aus Saldaea, nicht einmal hier in Tanchico.« »Eine Frau mit schmalem Gesicht, blauen Augen und breiter Nase, die füttern ein Dutzend Katzen in dieser Stadt, wo Leute essen Katzen? In Gesellschaft einer anderen mit dieser typischen Nase und den schrägen Augen aus Saldaea? Das sein kein gewöhnliches Paar, Frau al'Meara.« »Da habt Ihr recht«, gab Nynaeve zu. »Aber im Panarchenpalast? Meister Domon, falls Ihr das vergessen habt, bewachen fünfhundert Weißmäntel diesen Ort, und das unter dem Befehl eines Inquisitors der Hand des Lichts! Zumindest Jaichim Carridin und seine Offiziere dürften eine Aes Sedai sofort erkennen. Würden sie bleiben, wenn sie feststellten, daß die Panarchin Aes Sedai beherbergt?« Er öffnete den Mund, doch Nynaeves Argument hatte ins Schwarze getroffen, und er brachte kein Wort heraus.
»Meister Domon«, sagte Elayne, »was hatte denn einer Eurer Männer am Panarchenpalast zu tun?« Er zupfte verlegen an seinem Bart und rieb sich mit einem dicken Finger die bartlose Oberlippe. »Ihr wissen, die Panarchin Amathera sein bekannt für Vorliebe für weißen Pfeffer, den ganz scharfen, und vielleicht sie sein großzügig, wenn erhalten Geschenk, und wenn nicht selbst bekommen, wenigstens Zollbeamte werden wissen, die ihr geben Geschenk, und dann selbst sein großzügiger.« »Geschenke?« fragte Elayne in mißbilligendem Tonfall, so gut sie das eben fertigbrachte. »Am Hafen wart Ihr ehrlicher und habt so etwas einfach Bestechung genannt.« Überraschenderweise hatte sich auch Egeanin auf ihrem Stuhl umgedreht und ihm ebenfalls einen mißbilligenden Blick zugeworfen. »Glück stich mich«, murrte er. »Ihr mich nicht beauftragen, aufzugeben den Handel. Und ich nicht machen das, auch wenn Ihr mir das sagen, und selbst, wenn Ihr bringen meine alte Mutter und sie sagen dasselbe. Ein Mann haben ein Recht auf seinen Beruf.« Egeanin schnaubte und setzte sich zurecht.
»Seine Bestechungsmethoden sind nicht unser Problem, Elayne«, sagte Nynaeve erregt. »Es ist mir gleich, und wenn er die ganze Stadt besticht und schmuggelt... « Ein Klopfen an der Tür ließ sie verstummen. Nach einem warnenden Blick zu den anderen zischte sie Egeanin an: »Sitzt gefälligst still!« und erhob dann die Stimme: »Herein.« Juilin steckte den Kopf in den Raum. Er trug diese idiotische zylindrische Kappe und blickte wie immer Domon besonders finster an. Der Schnitt an seiner dunklen Wange, an dem noch getrocknetes Blut zu sehen war, war nichts Besonderes. Auf den Straßen ging es jetzt tagsüber noch schlimmer zu als anfangs
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