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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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Standpunkt einschätzen können. Perrin war der verschwimmenden Gestalt des Mannes auch schon relativ leicht gefolgt. Dieser sich verlängernde Wischer war so eindeutig, daß man ihn nicht verfehlen konnte. Zweimal nun hatte er das Spiel des anderen mitgespielt und beinahe verloren. Diesmal sollte der Schlächter ruhig sein Spielchen treiben. Er wartete ab.
    Raben kreisten suchend und krächzend über den Baumwipfeln. Keine Bewegung verriet ihn; nicht einmal ein leichtes Zucken. Nur die Augen rührten sich und beobachteten den ihn umgebenden Wald. Ein leichter Lufthauch trug eine kalte Witterung an seine Nase, menschlich und doch wieder nicht. Er lächelte. Kein Laut außer dem Krächzen der Raben. Dieser Schlächter beherrschte die Kunst des Lauerns. Aber er war es nicht gewohnt, selbst der Gejagte zu sein. Was vergaß der Schlächter noch außer seiner eigenen Witterung? Er würde wohl kaum erwarten, daß Perrin genau dort verharrte, wo er gelandet war. Tiere rannten vor dem Jäger weg. Selbst die Wölfe rannten gelegentlich davon.
    Die Andeutung einer Bewegung, und einen Augenblick lang erschien ein Gesicht über dem Stamm einer umgestürzten Kiefer etwa fünfzig Schritt von seinem Versteck. Das schräg einfallende Tageslicht ließ ihn die Züge ganz deutlich erkennen: dunkles Haar und blaue Augen, ein kantiges, hartes Gesicht, das ihn so sehr an das Lans erinnerte. Aber in diesem kurzen Moment leckte sich der Schlächter zweimal die Lippen. Seine Stirn war gerunzelt und sein Blick wanderte unstet hierhin und dorthin, als er den Wald absuchte. Lan hätte seine Unruhe niemals gezeigt, und wenn er allein tausend Trollocs gegenüberstünde. Nur ein Augenblick, und dann war das Gesicht wieder verschwunden. Die Raben kreisten aufgescheucht über dem Wald, als teilten sie die Unruhe des Schlächters und fürchteten, zu tief zu fliegen.
    Perrin wartete und beobachtete weiter völlig bewegungslos. Stille. Nur diese kalte Witterung sagte ihm, daß er nicht mit den Raben oben allein sei.
    Wieder erschien das Gesicht des Schlächters. Er spähte hinter dem dicken Stamm einer Eiche zu seiner Linken hervor. Dreißig Schritt. Die Eichen erstickten das meiste, was unmittelbar um sie herum wuchs. In dem mit faulenden Blättern bedeckten Humus unter ihren Ästen wuchsen nur ein paar Pilze und ein wenig Unkraut. Langsam schob sich der Mann ins Freie vor. Seine Stiefel machten kein Geräusch.
    In einer einzigen flüssigen Bewegung zog Perrin durch und schoß seinen Pfeil ab. Die Raben krächzten laut auf, und der Schlächter fuhr herum, doch der Hammerkopfpfeil schlug in seine Brust ein. Aber ins Herz hatte Perrin ihn nicht getroffen. Der Mann schrie auf und faßte mit beiden Händen nach dem Pfeilschaft. Schwarze Federn schwebten herunter, als die Raben verzweifelt mit den Flügeln schlugen. Und die Gestalt des Schlächters verblaßte, während sein Schrei verhallte. Er wurde durchsichtig, zu einer Nebelschwade, und verschwand. Das Kreischen der Raben brach ab, wie mit einem Messer abgeschnitten. Der Pfeil, der den Mann durchbohrt hatte, fiel zu Boden. Auch die Raben waren verschwunden.
    Perrin hatte schon den Bogen erneut halb durchgezogen, atmete dann aber tief durch und ließ die Spannung aus der Sehne weichen. Starb man hier auf diese Weise? Indem man einfach verblaßte und für immer verschwand?
    »Wenigstens habe ich ihn erwischt«, knurrte er. Und außerdem hatte er sich von seinem eigentlichen Zweck ablenken lassen. Er war nicht des Schlächters wegen in den Wolfstraum gekommen. Nun denn, wenigstens waren die Wölfe nun sicher. Die Wölfe - und ein paar andere ebenfalls. Er trat aus dem Traum heraus...
    ... und als er erwachte, starrte er zunächst verständnislos die Zimmerdecke an und sein Hemd war schweißgetränkt. Durch die Fenster drang ein wenig Mondschein herein. Irgendwo im Dorf spielten Fiedeln eine wilde Kesselflickermelodie. Sie kämpften wohl nicht, halfen aber auf ihre Weise, die Menschen bei Laune zu halten.
    Langsam setzte sich Perrin auf und zog sich im trüben Dämmerlicht des Zimmers die Stiefel an. Wie sollte er es anstellen, das durchzuführen, was er tun mußte? Es war schwierig. Er mußte es schlau anstellen, soviel war klar. Nur war er keineswegs sicher, daß er in seinem Leben jemals etwas schlau angestellt hatte. Er stand auf und stampfte die Füße in die Stiefel hinein.
    Plötzliche Schreie von draußen und ein verklingendes Hufgeklapper ließen ihn zum nächsten Fenster eilen und es öffnen.

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