Der schlagende Beweis
zwei Block weiter zum Gericht von Multnomah County gefahren wurde, wo er zusammen mit anderen Gefangenen, die vor Gericht zu erscheinen hatten, in eine große offene Zelle im Gerichtsgefängnis gebracht wurde. Um neun Uhr fünfundvierzig händigten ihm zwei Beamte einen Anzug aus, den Amandas Ermittler eigens für die Anhörung ins Gericht gebracht hatte. Sobald er umgezogen war, eskortierten ihn die Polizisten aus dem Gefängnistrakt im siebten Stock zum Gerichtssaal, in dem sein Fall behandelt werden sollte. Das Gericht war in einem klobigen Funktionsbau aus grauem Beton untergebracht, dessen Fassade keinerlei Anspruch auf Schönheit erheben konnte. Innen war es etwas anderes. Der Gerichtssaal des ehrenwerten Gerald Opton hatte eine hohe Decke, aufwendige Stuckornamente, korinthische Marmorsäulen und ein Podium aus poliertem Holz. Der Zuschauerraum bestand aus mehreren Reihen Holzbänken hinter einem Holzgeländer, das die Öffentlichkeit von den an der Verhandlung beteiligten Personen trennte. Der Saal war aufgrund der Publicity, die Daniels Fall begleitete, voll besetzt, doch Daniel hatte keine Mühe, Kate in der Menge zu entdecken. Es war ihm peinlich, dass sie ihn in Handschellen sah, und er konnte sich zu nicht viel mehr als einem angespannten Kopfnicken aufraffen.
In der ersten Reihe sa ßen mehrere Partner von Reed, Briggs. Daniel war neugierig, ob der Staatsanwalt sie als Zeugen aufrufen würde. Hinter den Kanzleichefs saß zusammen mit anderen Junganwälten Joe Molinari. Er hob den Daumen zum Siegeszeichen, was Daniel unwillkürlich ein Schmunzeln entlockte. Die anderen Kollegen nickten ihm zu, und er war erleichtert, dass einige von seinen Freunden in der Firma noch zu ihm hielten. Susan Webster glänzte durch Abwesenheit.
Daniel lie ß den Blick über die Menge schweifen, um nach weiteren bekannten Gesichtern zu suchen, und war überrascht, als er einen jungen Afroamerikaner im anthrazitfarbenen Anzug und mit einem Kanzleiblock und Stift bewaffnet entdeckte, in dem er einen von Aaron Flynns Junganwälten erkannte, die er zur Befragung von Kurt Schroeder mitgebracht hatte.
Als seine Aufseher Daniel in den Gerichtssaal brachten, sprach Amanda Jaffe gerade mit dem stellvertretenden Staatsanwalt Mike Greene, einem gro ßen, kräftigen Mann, der wie ein Football- oder Basketballspieler aussah. Der erste Eindruck täuschte. Greene hatte ein weiches Herz und spielte Turnierschach und Saxofon, statt Sport zu treiben. Die Verteidigerin und der Staatsanwalt hatten sich schon ein paarmal vor Gericht gegenübergestanden, und seit dem gewaltsamen Ende des Cardoni-Falls gingen sie öfter miteinander aus.
Amanda h örte, wie einer der Aufseher Daniel die Handschellen aufschloss, und sie eilte zu ihrem Klienten. Im Anzug sah Daniel wie jeder andere junge Anwalt aus, auch wenn drei Tage Gefängnis ihren Tribut gefordert hatten. Sobald er von den Handschellen befreit war, führte ihn Amanda zum Tisch der Verteidigung, wo sie sich im Fl üsterton unterhielten.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte sie.
Daniel sch üttelte den Kopf. »Sie müssen mich aus dem Gefängnis holen. Ich wurde in eine Schlägerei verwickelt, und der Typ hat Freunde. Ich bin dran, sobald ich wieder im Knast bin. Wie stehen meine Chancen für eine Kaution?«
Amanda wollte gerade antworten, als der Gerichtsdiener mit dem Hammer auf den Tisch schlug. Sie legte Daniel die Hand auf den Unterarm. »Wir machen das schon.« Der ehrenwerte Gerald Opton betrat den Gerichtssaal, und alle erhoben sich. Jerry Opton war einer von drei Richtern, die im Wechsel die Mordprozesse führten. Diese Richter verhandelten zwei Jahre lang ausschließlich Mordfälle, damit sie sich auf diesem Rechtsgebiet die entsprechenden Fachkenntnisse aneignen konnten. Gewöhnlich war diese Abteilung besonders erfahrenen Richtern vorbehalten. Opton praktizierte erst seit fünf Jahren, war jedoch zuvor bereits zehn Jahre lang Mordspezialist im Büro des Staatsanwalts von Multnomah County gewesen. Er war ein stämmiger Mann mit Stirnglatze, der eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Jack Nicholson hatte. Obwohl er vor seiner Beförderung zum Richter als Anklagevertreter gearbeitet hatte, war Opton bei den Verteidigern wie Anklagevertretern gleichermaßen beliebt. Er war äußerst gewissenhaft und fair, verfügte über ausgezeichnete Gesetzeskenntnisse und leitete seine Verhandlungen mit fester Hand und nicht selten mit trockenem Humor.
»Können wir anfangen?«, fragte der
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