Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
gebracht.«
Fran konnte das nicht verstehen. »Warum in Dreiteufelsnamen? Was ist wichtiger? Die Aufklärung eines Mordes oder die Befindlichkeiten von …« Sie biss sich auf die Zunge. Sie wollte nicht ungerecht sein, aber es regte sie auf, dass ein Mörder frei herumlief, weil zwei alte Männer Gott spielten.
»Ich war mir nicht sicher. Die Verletzungen hätten auch von einem Sturz kommen können. Man hätte …«
»… die Leiche obduzieren müssen«, sagte Fran. »Und das wird sie auch, und Sie werden dafür sorgen, oder ich sorge dafür, und dann wird es richtig unangenehm für Sie.«
Fran hielt Mochers flehendem Blick mühelos stand. Langsam zog sie ihr Handy aus der Tasche. Mocher winkte ab, sie steckte das Handy wieder ein. »Ich rate Ihnen, nicht zu erwähnen, dass ich bei Ihnen war, das könnte der Staatsanwalt missverstehen.«
» Ich habe verstanden.«
Jegliche Herzlichkeit war aus seiner Stimme verschwunden. Er nahm den Hörer seines Telefons ab, wählte die Eins-Eins-Null, wartete einen Moment und sprach eine saubere Selbstanzeige samt Geständnis in den Hörer.
Fran nickte zufrieden, stand auf und ließ Mocher einfach sitzen. Auf der Straße atmete sie tief durch. Sie schüttelte den Kopf, lachte kurz. Zurzeit sammelte sie Dienstvergehen wie andere Menschen Briefmarken, also konnte sie ruhig noch mal bei Rüttgen vorbeischauen.
*
Ich drehe die kalte Dusche voll auf. Das Wasser beißt in meine Haut wie Schmirgelpapier. Aber es muss sein. Ich kann mir nicht länger Schwäche leisten. Die Uhr läuft. Ich habe Vorbereitungen zu treffen, ich darf Fran nicht unterschätzen. Wenn sie mich zu früh erkennt, scheitert mein Plan. Sie ist neugierig, sie ist schlau, sie könnte auf die Idee kommen, Dinge zu tun, die sie nicht tun soll, wie ein unartiges Kind. Was für dumme Gedanken mache ich mir? Sie ist auch nur ein Mensch, sie ist eine Frau, sie ist fehlbar. Sie wird genau den Weg beschreiten, den ich ihr vorgezeichnet habe, sie kann nicht anders. Weil sie berechenbar ist, weil alle berechenbar sind, weil sie immer das tun, was sie immer tun, weil sie nicht über das Problem hinausdenken können, weil sie immer glauben, was nicht denkbar ist, kann nicht geschehen. Und deshalb werden sie immer versagen, deswegen können sie mich nicht mit ihren Gedanken erreichen. Und da sie mich mit ihren Gedanken nicht erreichen können, existiere ich nicht für sie. Erst wenn ich es ihnen erlaube, werden sie mich erkennen, erst dann werde ich für sie existieren. Aber dann ist es zu spät,dann habe ich bereits gewonnen, so wie ich es vorausgesehen habe.
Jetzt heiß. Dann wieder kalt. Heiß-kalt-heiß-kalt-heiß. Ich rubbele mich trocken. Schaue in den Spiegel. Betrachte mich kritisch. Bin ich für die Aufgabe fit genug? Sie ist knifflig, verlangt hohe Konzentration, erlaubt keinen Fehler. Fehler sind tödlich. Mein Rücken brennt kurz, nur einen Moment, wie ein einziger Peitschenhieb, dessen Schmerz schnell versickert. Ich halte meine Arme ausgestreckt vor mich. Sie sind ruhig. Nicht das kleinste Zittern.
Ich ziehe mich an, gehe ins Wohnzimmer, Kerstin und die Kinder sind nicht da, sie können mich nicht stören, das ist angenehm. Langsam setze ich mich auf meinen Hocker, den ich schon seit Jahren benutze, wenn es um besonders schwierige Arbeiten geht. Das Werkzeug liegt bereit. Ich nehme einen Schraubenzieher und schaue in den Schlund der Hölle.
*
Es war genau sechzehn Uhr, als Fran im Krankenhaus ankam und anstandslos zu Lars Rüttgen vorgelassen wurde. Sie winkte einen der Beamten mit in den Raum.
Rüttgen hatte seinen Blick auf einen Punkt an der Wand hinter Fran gerichtet und schwieg.
»Wir haben uns bereits kennengelernt, Herr Rüttgen. Sie wissen, wer ich bin. Möchten Sie einen Anwalt hinzuziehen?«
Rüttgen reagierte nicht.
Fran war sich noch nicht ganz sicher, mit welcher Taktik sie vorgehen sollte. Sollte sie versuchen, ihn zu provozieren? Sollte sie versuchen, an seinen Gerechtigkeitssinn zu appellieren? Wie eine übergroße Statue saß Rüttgen vor ihr, und sie war froh, dass er ans Bett gefesselt war. Es wäre ihm ein Leichtesgewesen, sie mit einer Hand zu erwürgen. Seine Pranke konnte mühelos ihren Hals umfassen. Sie beschloss, ihn aus der Reserve zu locken. Sie musste zumindest einschätzen können, ob und, wenn ja, wie er mit dem Tod von Johanna Magold in Verbindung stand.
»Herr Rüttgen, Sie sind vollkommen ausgerastet, als Sie erfahren haben, dass Ihre Mutter gestorben ist. Ich
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