Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Ägidius Bonaventura zumindest bereit war, über ihre These nachzudenken .
»Wer schlachtet Hühner, um damit seinen Respekt auszudrücken?«, fügte er hinzu.
»Das ist eine hervorragende Frage.« Fran zog die Stirn in Falten. »Wenn ich Ihnen etwas erzähle, müssen Sie mir versprechen zu schweigen.«
Ägidius Bonaventura nickte. »Sie haben mein Wort, so wie ich das Ihre habe.«
Sie blickte zu Senior, der zustimmte.
»Es ist so gut wie sicher, dass eine satanische Sekte auf Friedrichs Grab eine schwarze Messe gefeiert hat. Wenn das Grab eines Katholiken entehrt wurde und dadurch der christliche Glaube angegriffen werden sollte, stellt sich natürlich die Frage: Warum haben die Täter nicht das erstbeste Grab genommen? Sie haben sich für ein bestimmtes Grab entschieden und sind damit ein hohes Risiko eingegangen, entdeckt zu werden. Ich denke, diese Satansjünger wollten Friedrich entweder im Reichder Toten helfen oder ihn als Mann Luzifers ehren. Oder, das ist weiterhin durchaus möglich, sie hatten eine Rechnung mit ihm offen, was ich aber anhand unserer Erkenntnisse vorerst ausschließen möchte. Es war eine schwarze Messe und keine Grabschändung! Davon bin ich überzeugt. Es gibt verschiedene Konzepte des Satans. Das Satanskonzept der Tora zum Beispiel sieht Satan nicht als das Böse, sondern als einen Diener Gottes, dessen Aufgabe es war, die Menschen sowohl zu versuchen als auch zu warnen. Auch der christliche Satan ist ein gefallener Engel. Wir hoffen, dass Sie uns sagen können, was für ein Mensch Friedrich war. Nur so können wir uns den Tätern und ihren wirklichen Motiven nähern.«
Ägidius Bonaventura lächelte. »Sie sind eine bemerkenswerte junge Frau. Sie denken anders als andere.«
Fran fühlte sich geschmeichelt, und gleichzeitig mahnte sie sich zu größter Vorsicht. Ägidius Bonaventura war mit allen Wassern gewaschen. Auch mit seinen über sechzig Jahren war sein Verstand messerscharf. Fran begann bereits, ihn zu mögen, eine schlechte Voraussetzung für ein effektives Verhör.
»Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht muss ich reden. Wo soll ich anfangen?«, fragte Ägidius Bonaventura.
Fran und Senior schwiegen, die Frage verlangte keine Antwort.
»Zuallererst müssen Sie wissen, dass er mir sozusagen das Leben gerettet hat.« Er nahm einen Keks, zerkaute ihn und spülte ihn mit einem Schluck Kaffee hinunter. Mit einer Stoffserviette tupfte er sich den Mund ab, der vollkommen sauber war. »Er ist ein paar Jahre älter als ich, wir lernten uns kennen, als er in die Oberstufe kam, und wurden schnell Freunde. Kennen Sie das Henry-Ford-Kolleg?«
Senior nickte, Fran schüttelte den Kopf.
»Ein Internat in Bensberg, Bergisch Gladbach, ganz in derNähe. Elite für die Hochfinanz und die Wirtschaft. Wurde vor vierzehn Jahren geschlossen.«
»Eine ehemalige Napola-Schule«, sagte Senior ruhig.
»Richtig. Nach dem Krieg wurde diese ›Nationalpolitische Schule‹ sehr schnell in ein Elite-Internat umgewandelt. Viele Lehrkräfte wurden weiterbeschäftigt. Natürlich wurden sie auf den Stand der Dinge gebracht, man versuchte sie zu entnazifizieren«, Ägidius Bonaventura lächelte schief, »Oberlippenbärte wurden abrasiert und die Fotos in den Klassenräumen ausgewechselt.«
»Und wie hat Ihnen Friedrich das Leben gerettet?«, fragte Fran.
»Ich war der Sohn des Hausmeisters. Ging auf die Volksschule, machte mittlere Reife und dann eine Lehre als Maler.«
»Ja? Und?« Senior nippte an seinem Kaffee und fixierte Ägidius Bonaventura über den Rand der Tasse hinweg.
»Ich habe Sie neugierig gemacht, nicht wahr? Leben retten. Ein großes Wort. Es war eigentlich Kinderkram. Es ging um eine Frau. Ich hatte mich verliebt, sie hat mich ausgelacht, gesagt, sie würde sich niemals einem Verlierer hingeben und ihn heiraten schon gar nicht. Ich war drauf und dran, mich von einer Brücke zu stürzen. Doch eines Tages kam diese Frau und verführte mich. Nur ein einziges Mal. Dann zog sie nach Norddeutschland.«
»Hat Friedrich das gedeichselt?«, fragte Senior.
»Natürlich. Ich habe es erst später erfahren, aber da war ich längst darüber hinweg.«
»Friedrich ist ein mächtiger Banker geworden. Wo war Ihr Platz?« Fran lächelte.
Ägidius Bonaventura lächelte zurück. »Ja, Sie sind wirklich gut, sehr gut. Ganz einfach: Ich war sein bester Freund. Zeit seines Lebens. Auch als er stürzte, blieb ich ihm treu. Alle haben ihn verlassen, alle haben ihm den Rücken gekehrt, als er keine Macht
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