Der Schoepfer
Abendessen, aber jetzt musste sie ihr Mittagessen zusammen mit dem Gulasch und dem Kartoffelpüree runterwürgen. Freiwillig oder gezwungen.
Björg hatte das Essen auf den Tisch gestellt, und Ína wurde geschickt, ihre Schwester zu holen.
Lóa reichte Margrét ungefähr die Hälfte der Portion, die für einen Erwachsenen angemessen war, und Margrét begann sofort zu protestieren. Sie zog ihre neue, ältliche Jammerstimme möglichst weit in die Länge: »Ich schaffe nicht beides, ich schaffe nur eins von beidem. Ich esse das Fleisch, aber ich will nur Wasser dazu. Warum bist du so gemein?«
»Du hättest was zu Mittag essen sollen, das weißt du genau. Ich kann nicht den ganzen Tag für dich mitdenken«, sagte Lóa und beugte sich drohend über den Tisch. Ihre Katerstimmung war wie weggeblasen, und sie traute sich jegliche Auseinandersetzung zu.
»Ich hab gelernt, ich hab’s einfach vergessen, das ist nicht meine Schuld«, sagte Margrét.
»Niemand hat Schuld. Aber ich muss den Ärzten die Wahrheit sagen, und wenn ich ihnen erzähle, dass du eine Mahlzeit ausgelassen hast, lassen sie dich im Krankenhaus schmoren, bis du alt und grau bist. Stell dich nicht so an, es ist doch nur ein Glas, und es schmeckt ganz neutral.«
»So was kann man nicht zum Essen trinken«, jammerte Margrét.
»Jede Menge Leute trinken einen Vanilleshake zum Essen«, warf Björg ein, »zum Beispiel zu einem Hamburger mit Fritten. «
»Solche Leute sind ekelhaft«, sagte Margrét mit finsterem Blick. »Ekelhafte, gierige Schweine.«
Lóas Herz sank, wie immer, wenn sich in Margrét ein Spalt auftat, durch den man die tödlichen Abgründe ihrer Wut sehen konnte.
Björg lachte leicht gezwungen und sagte: »Dann bin ich ein ekelhaftes, gieriges Schwein.«
Sie setzte noch einen drauf, indem sie sich Salat in den Mund stopfte und mit offenem Mund und laut grunzend kaute. Dabei verschluckte sie sich, hustete und lachte mit Tränen in den Augen.
Margrét verzog keine Miene und vermied es, Björg anzuschauen, die neben ihr saß.
»Darf ich auch einen Vanilleshake zum Essen?«, fragte Ína.
»Du darfst einen zum Nachtisch haben«, antwortete Lóa und schaute sich im Raum um, gepackt von dem Gefühl, dass sie winzig klein war und alles um sie herum winzig klein war. Sie war eine kleine Frau in einem kleinen Haus, mit kleiner, unbedeutender Dramatik im Herzen. Björg und die Mädchen winzig klein an einem winzig kleinen Esstisch mit Geschirr, das ein normaler Mensch kaum handhaben konnte. Die Puppe in
Margréts Zimmer eine Fluse, die man nur ganz leicht auf der Handfläche spürte. Das Muster der Tapete so filigran, dass man ein Vergrößerungsglas brauchte, um es richtig zu erkennen. Das Sofa im Wohnzimmer wie eine Streichholzschachtel, und die bestickten Kissen wie asiatische Magie. Die welken Topfpflanzen zarter als empfindlichste Hochlandvegetation, und es war egal, dass die Zitronen in der Glasschale angeschimmelt waren, denn sie waren zu klein, als dass man die Fäulnis riechen konnte.
Fehlte nur, dass sich ungeschickte Kinderhände durch die Fenster quetschten und alles umwarfen, zertrümmerten und demolierten.
V
Samstag
Sveinn klopfte, schnell und fest. Er wartete, zwischen Hoffnung und Furcht schwankend, ohne genau zu wissen, ob er wirklich wollte, dass Kjartan zur Tür kam. Er wollte nicht allein sein, aber er wollte sich auch nicht Kjartans unzusammenhängendes, besserwisserisches Gerede anhören.
»An manchen Tagen kann man sich nur darüber definieren, was man nicht will«, dachte er, während die Sonne seinen Scheitel wärmte und eine der ersten Bienen des Frühlings einen wettergegerbten Gartenzwerg mit grüner Mütze umsummte.
Kjartan wohnte in einem wellblechverkleideten Holzhaus in gutem Zustand und mit einem großen Garten. Er war dort vor ein paar Jahren eingezogen, als seine Mutter in ein betreutes Wohnheim in der Nähe übergesiedelt war, und hielt ihr zuliebe den Garten einigermaßen in Schuss.
Die Tür ging auf, und Kjartan schaute Sveinn unter dichten, ergrauten Brauen heraus gutmütig an und reichte ihm zur Begrüßung seine kräftige Hand. Ein zerzauster Kerl mit dem Brustkorb eines Opernsängers in einem weißen Hemd, Hose mit Bügelfalte, Wollsocken und jesusartigen Hausschlappen.
»Hallo, mein Freund«, sagte er und drückte Sveinns schmerzende
Hand. »Komm schnell rein, diese Sonne ist ja fürchterlich. « Er schüttelte sich und lachte hünenhaft.
Sveinn lächelte höflich, folgte ihm ins Haus, sank
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