Der Schwarze Mandarin
Yunnan-Tee. Das war alles. Am besten war das Bett, und eine Augenweide waren die Badezimmer. Sie waren gekachelt mit wunderschönem Dali-Marmor, auch die Waschbecken und die Badewannen bestanden aus Marmor. Nur warmes Wasser gab es nicht.
Rathenow zog sich aus, duschte sich trotz des kalten Wassers gründlich und ging dann ins Bett. Er schlief sehr schnell ein, bis jetzt zufrieden mit diesem Tag.
Liyun blieb noch in der Halle des Hotels und führte ein langes Telefongespräch. Ihr Gesicht strahlte dabei.
Was keiner von ihnen wahrgenommen hatte – wer achtet auch schon darauf? –, war ein schmächtiger Chinese in guter, städtischer Kleidung. Er war ihnen überallhin gefolgt – zu den Pagoden, zum Tee-Haus auf dem ›Südlichen Tor‹, zu Xie Fatangs Restaurant, zum See, zum Hotel. Er war immer in ihrer Nähe gewesen, wie ein Schatten. Der Mann fuhr einen kleinen, schwarzen japanischen Wagen und benahm sich so unauffällig, daß man ihn einfach übersehen mußte.
Als Liyun das Hotel verließ, ging er ans Telefon und rief in Kunming an.
»Herr Shen«, sagte er sehr ehrfurchtsvoll, »ich bin jetzt im ›Dali-Hotel‹. Herr Rathenow ist auf sein Zimmer gegangen. Ich glaube, Sie haben recht gehabt.«
»Ich habe immer recht«, antwortete Shen Jiafu knapp.
»Morgen werden sie weiterfahren nach Lijiang, sagte der Portier. Soll ich ihnen folgen?«
»Nein. Ich werde unseren Mann in Lijiang verständigen. Sonst noch etwas?«
»Ich glaube, Herr Rathenow hat sich in Wang Liyun verliebt.«
»Das haben wir gehofft. Wie benimmt er sich?«
»Wie ein älterer Mann sich einem jungen Mädchen gegenüber benimmt. Er ist wie ein Pfau, der sein Rad schlägt. Es ist lustig anzusehen.«
»Und Wang Liyun?«
»Sie ist sehr zurückhaltend.«
»Das wird sich ändern.«
»Sind Sie sich da so sicher, Herr Shen?«
»Ja! Ich habe dir doch gesagt: Ich irre mich nie.«
»Was soll ich weiterhin tun?«
»Bleib im Hotel und beobachte sie weiter, bis sie morgen nach Lijiang fahren. Dann ist deine Aufgabe beendet. Du hörst wieder von uns.«
»Jawohl, Herr Shen.« Der schmächtige Chinese machte vor dem Telefon eine Verbeugung und legte dann auf. Er war stolz. Es ist schließlich eine Ehre, von Shen Jiafu gelobt zu werden. Wenn man gute Arbeit leistet, kann man Hoffnung haben, aufzusteigen und wichtigere Aufgaben zu übernehmen. Das große Ziel, sein Traum, dem er nachhing, war Hongkong. Die weltumspannende Zentrale, von der aus der ›Höchste Rat‹ die ›Armee der Verschworenen‹ regierte. Hongkong – ein Wunsch, der einen Menschen verändern kann. Aber dafür muß man fleißig sein und vor allem gehorchen, bedingungslos, ohne Hemmungen, ohne die Last des Gewissens. Man muß töten können, als schneide man in ein Stück Fleisch.
Und er war bereit, zu töten – wenn es der Auftrag erforderte …
*
Pünktlich um 19 Uhr fuhr Rathenow mit dem Lift hinunter in die Hotelhalle. Liyun war schon da. Sie saß auf einer mit dicken Kissen belegten Marmorbank neben der Rezeption. Sie hatte sich umgezogen, trug ein langes, an beiden Seiten geschlitztes Kleid, das ihre langen schlanken Beine beim Gehen freigab. Es war ein enges Kleid, das ihre schlanke Figur reizvoll betonte. Auch die Haare hatte sie verändert. Sie trug sie jetzt eingeschlagen, gehalten von einer großen Spange, die eine breite Schleife aus roter Seide zierte. Sie sah reifer aus so, nicht mehr wie ein ganz junges Mädchen. Jetzt war sie eine junge Frau, sich ihrer Schönheit bewußt. Sie hatte sich diskret geschminkt: blaßrote Lippen, getuschte Wimpern, etwas Rouge auf den Wangen, die Lider mit einem Hauch Graubraun bestäubt. Als sie sich von der Marmorbank erhob, hielt Rathenow einen Augenblick den Atem an.
Sie ist wie ein Gedicht der alten Meister, dachte er.
Ein Vers fiel ihm ein, den er einmal gelesen hatte, geschrieben von dem Dichter Li Tai-pe im Jahre 731 zur Tang-Dynastie:
Schlägt Regen auf dein Licht,
er kann's nicht löschen,
bläst Wind auf deinen Glanz, er wird nur reiner.
Und flögest du empor in Himmelsferne,
dem Monde nah wärst du der Sterne einer.
»Ich kann Sie auch mit Pünktlichkeit nicht überraschen«, sagte er, als er vor Liyun stand, bemüht, einen burschikosen Ton zu treffen. »Und dabei habe ich mich bemüht, vor Ihnen dazusein.«
Sie lachte. »Pech gehabt! Wie haben Sie geschlafen? Haben Sie wieder geträumt?«
»Nein, dazu war ich zu vollgefressen! Ich muß geschnarcht haben wie ein alter Hund. Immer, wenn ich zuviel gegessen habe,
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