Der schwarze Thron - Reiter reiter3
Kamin hinauf, und wölbte sich über ihnen wie die Decke selbst. Karigan spürte, wie das Lied in ihr vibrierte. Der Raum war Musik. Er sang:
»Die Musik der Sterne trauert
ihr Hinscheiden, ihr Hinscheiden
aus dem leuchtenden Land Avrath
aus dem leuchtenden Land Avrath
Werden sie je zurückkehren?
Werden sie zurückkehren zu den hellen Wäldern,
zum blauen Meer,
heim nach Avrath,
ins leuchtende Land?«
Als er aufhörte, war es, als falle man aus einem Traum heraus. Das Lied war eine Klage und machte Karigan traurig, aber es lag große Schönheit in seiner Trauer.
»Das habe ich noch nie gehört«, sagte Estral und brach den Bann des Liedes.
»Das würde ich auch nicht annehmen«, murmelte Lord Fiori. »Ich habe gehört, wie die Eleter es sangen, und das hier ist nur eine grobe Übersetzung.«
»Was ist dieses leuchtende Land?«, fragte Rendel. »Dieses Avrath?«
Lord Fiori stand auf und legte noch ein Holzscheit nach. »Es ist«, sagte er, »ihr wichtigster spiritueller Ort, der Ort, von dem sie kamen und zu dem sie zurückkehren wollen. So habe ich es jedenfalls verstanden.«
»Wie der Himmel«, sagte Rendel.
Das Feuer zischte und sprühte Funken, als es das neue Scheit verschlang. Lord Fiori kehrte zu seinem Sessel zurück und streckte die langen Beine aus. »Vielleicht ist das so, aber ich weiß es nicht. Es könnte ein physischer Ort sein oder eine Schicht der Welt. Vielleicht sogar ein Geisteszustand. Ich weiß allerdings, dass die Eleter glauben, auf der Erde nur im Exil zu sein.«
Exil. Karigan drehte und wendete das in ihrem Kopf. Hatten die Eleter nicht immer hier gelebt? Wenn es sich tatsächlich um ein Exil von einem Ort namens Avrath handelte, gingen die Spaltungen zwischen den Eletern tiefer, als sie sich bisher vorgestellt hatte. Was konnte bewirkt haben, dass sie aus ihrem »leuchtenden Land« weggeschickt wurden? Und warum bestanden einige von ihnen so darauf, dieses Land der Sterblichen zu säubern? Um Avrath auf Erden neu zu schaffen? Sie gähnte und dachte, dass die späte Stunde sie zu unwahrscheinlichen Schlüssen trieb.
»Ich nehme an, es ist kein Zufall, dass sich eine Botin des Königs hier in Selium befindet«, sagte Lord Fiori mit einem Blick zu ihr.
»Nein, Sir. Ich habe eine Botschaft vom König.« Sie tätschelte die Tasche an ihrer Seite. Die hatte sie nicht unbewacht im Gästehaus lassen wollen. Sie holte die Botschaft heraus und reichte sie Lord Fiori.
Er zog die Brauen hoch. »Vom König selbst geschrieben –
ich erkenne seine Schrift. Ich nehme an, er erwartet eine Antwort. « Er blickte zu Karigan auf. »Komm morgen wieder vorbei.« Als die Campusglocke die frühe Stunde ankündigte, verbesserte er sich: »Heute, später.«
Karigan nahm das als Entlassung, und sie war mehr als bereit fürs Bett. Sie verließ das Haus zusammen mit Meister Rendel, und er sagte: »Ein guter Kampf. Schade um den Tisch.«
Dann ging er in seine eigene Richtung, und sein leises Lachen wehte hinter ihm er. Karigan schüttelte lächelnd den Kopf. Es war ein interessanter Abend gewesen, und sie hatte vieles, worüber sie nachdenken musste, darunter auch ihre Technik mit dem Schürhaken.
IM ARCHIV
Karigan stand viel später auf, als sie vorgehabt hatte, aber es ging nicht anders. Nachdem sie früh am Morgen wieder in ihr Zimmer zurückgekehrt war, hatte sie noch lange nicht schlafen können, mit all den Stimmen in ihrem Hirn über Dokumentendiebe und Eleter, die vor dem Tor von Sacor lagerten. Sie war alles, was Lord Fiori gesagt hatte, wieder und wieder durchgegangen, aber das hatte ihr keine großen Enthüllungen gebracht; ihr Hirn war einfach immer noch damit beschäftigt, alles zu sortieren.
Als sie die Sonne, die durch ihr Fenster fiel, nicht länger ignorieren konnte, schleppte sie sich aus dem Bett und nahm im Gemeinschaftsraum allein ein spätes Frühstück zu sich. Der Winkel der Sonne und die Campusglocke sagten ihr, dass sie den größten Teil des Morgens verschlafen hatte. Die Angestellten des Gästehauses waren in der Küche beschäftigt, um das Mittagessen vorzubereiten.
Sie brauchte einige Zeit, um Lord Fiori aufzuspüren, denn er war nicht zu Hause und auch nicht in seinem Büro im Verwaltungsgebäude. Ein hilfreicher Schreiber schlug vor, sie solle einmal im Archiv nachsehen, das sich in den Katakomben unter der Bibliothek befand. Als Schülerin hatte sie die Bibliothek benutzt, aber nie Grund gehabt, ins Archiv zu gehen, was den meisten Schülern ohnehin
Weitere Kostenlose Bücher