Der Seelenbrecher
soll der Code uns bringen?«, fragte Bachmann. »Da draußen tobt ein Jahrhundertsturm.«
»Das heißt, wir sitzen hier fest?«, fragte Yasmin. »Nur für sechs Stunden. Dann kommt die Frühschicht. Die Kollegen werden Hilfe holen, wenn sie merken, dass hier drinnen was nicht stimmt.«
»Ganz schlechter Plan«, sagte Schadeck und schüttelte energisch den Kopf. »Wir sollten besser rausgehen und uns den Irren vorknöpfen. Immerhin hat er euren Chef in seiner Gewalt.«
»Und Linus«, ergänzte Yasmin.
»Linus?«, fragte Caspar.
Bei dem Gedanken an den Musiker beschlich ihn das unbestimmte Gefühl, dass er noch etwas ganz anderes vermisste.
»Ja, er ist nicht auf seinem Zimmer gewesen, als ich ihn einschließen wollte. Anders als Greta. Die Glückliche hat schon geschlafen.«
Yasmin warf Caspar einen wütenden Blick zu, wie um ihn nochmals daran zu erinnern, dass sie ganz und gar nicht mit seiner Anwesenheit hier unten einverstanden war. Er hatte sich geweigert, alleine auf seinem Zimmer zu bleiben, und schließlich hatte Bachmann ihm den Anschluss an die Gruppe gestattet. Vermutlich, weil er einen männlichen Gegenpol zu Schadeck brauchte, wenn er in dieser Nacht die Rolle des Wortführers behalten wollte. »Also schön. Raßfeld und Linus sind verschwunden«, sagte Bachmann. »Aber wenn wir sie jetzt suchen, machen wir uns zur Zielscheibe des Seelenbrechers.« »Der Seelenbrecher?«, keuchte die Köchin.
Sie verschränkte fröstelnd die Arme über dem gewaltigen Busen, der sich unter ihrem Nachthemd abzeichnete. Trotz ihrer wiederholten Nachfragen machte sie nicht den Eindruck, als ob sie über das Grauen in dieser Klinik wirklich aufgeklärt werden wollte. Caspar spürte die Überwindung, die es sie schon kostete, Sophia im Rollstuhl anzusehen.
»Soll das etwa heißen …?«
»Ja, leider.«
Bachmann hob die Schultern und atmete schwer ein. Dann griff er sich wahllos eine Zeitung von dem schweren Couchtisch vor dem weihnachtlich geschmückten Kamin. Er musste nicht lange blättern.
»Hier: Drei Frauen. Alle jung, gutaussehend und mitten im Leben stehend.«
So wie Sophia, ergänzte Caspar in Gedanken, als er sich wie die anderen über den Esstisch beugte und die Fotos der Opfer betrachtete.
»Alle werden nacheinander entführt und tauchen nur wenige Tage später wie aus dem Nichts wieder auf. Ohne erkennbare Verletzungen. Aber innerlich vollkommen zerstört. Keiner weiß, was der Täter mit den Frauen anstellt, welcher seelischen Folter er sie aussetzt. Aber jetzt schaut euch diese Aufnahme einmal an.«
Er tippte auf ein ausgeblichenes Schwarzweißfoto, das mit Vanessa Strassmann unterschrieben war. Das erste Opfer, heute verstorben.
»Der gleiche apathische Ausdruck wie bei Frau Dr. Dorn.«
»Das soll Bruck getan haben? Nie im Leben.«
Alle Augen richteten sich auf Schadeck, der jetzt mit seinem Hintern am Esstisch lehnte und die Füße übereinanderschlug. Wenn ihn die Ereignisse beunruhigt hatten, konnte er das blendend überspielen. Um seine dünnen Lippen spielte sogar der Anflug eines Lächelns. »Wieso nicht?« Bachmann hustete nervös in seine Faust.
»Bruck lag in einer Wodkalache neben seinem Bett, als ich im Motel ankam. Das ist ein Alki. Ein Penner. Der Manager wollte ihn noch vor den Feiertagen aus seinem Etablissement entsorgen. Nicht unüblich. Vor Weihnachten sind wir so was wie die menschliche Müllabfuhr.« Das Lächeln um Schadecks Lippen wurde breiter, doch der Hausmeister schüttelte den Kopf.
»Das passt nicht zusammen. Professor Raßfeld hat von ihm als Dr. Jonathan Bruck gesprochen, und auch Frau Dr. Dorn schien ihn zu kennen.«
»Na, da haben die beiden aber hübsche Kollegen«, höhnte Schadeck.
»Zugegeben, ich verstehe das auch alles nicht. Was hatte Bruck betrunken in diesem Motel zu suchen? Wieso hat er sich ein Messer in den Hals gerammt? Weshalb ist er erst geflüchtet und dann wiedergekommen?« Der Hausmeister malte mit seinem fleischigen Zeigefinger ein Fragezeichen in die Luft. »Ich weiß es nicht. Aber in einem Punkt bin ich mir sehr sicher: Frau Dr. Dorn ist das vierte Opfer des Seelenbrechers.«
Caspar wusste, was jetzt kam. Auch wenn es niemand hören wollte – Bachmann würde seinen Anklagevortrag mit einem überzeugenden Beweisstück schließen. »Bei allen Frauen hat man einen Zettel gefunden.« Er griff in seine Hosentasche. »So einen wie diesen hier.« Der Hausmeister reichte ihn an Schadeck weiter. »Es ist die Wahrheit, obwohl der Name lügt«, las er vor. »Ja. Ein
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