Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
wenn die Seelen da oben jetzt auf sie und Carl in diesem einsamen Raum herunterblickten, dann müßten sie und Gott sich ihrer erbarmen, seiner erbarmen, Carl Kraft schenken, ihm seine Gesundheit zurückgeben.
Er schien ihre Gedanken zu erraten. «... eben ...», raunte er. «Was sagst du?» flüsterte sie.
Er hob die Hand und hielt sie ihr flach vor das Gesicht. «... be...», stammelte er, «... be...»
Sie richtete sich halb auf und schaute ihn an. «Was willst du, Carl? Ich kann dich nicht verstehen. Was willst du?»
«...ten ... ich will ...»
«Du willst leben? Ach, mein Carl ... du wirst leben ... du wirst doch jetzt nicht sterben, wo ich dich so brauche ... du wirst ...»
Mit aller Kraft unterbrach er sie und brachte das Wort heraus, wie einen Stoß: «Beten.»
Nun endlich begriff sie. Er hielt ihr die Hand hin, weil sie mit ihm beten sollte. Sie nahm ihre linke Hand, legte sie gegen Carls rechte, dann glitten ihre Finger durch die seinen, und gemeinsam falteten sie ihre Hände zum Gebet. Isabelle hatte seit ihrer Kindheit nicht mehr gebetet. Sie kannte kein Gebet außer dem Vaterunser. Darum sprach sie es jetzt, umklammerte fest Carls Hand, spürte, daß sie wärmer wurde, während sie, flüsternd fast, zu sprechen begann.
Nachdem sie geendet hatte, öffnete sie die Augen und sah ihn an. Eine Träne lief über seine Wange. «Du mußt nicht weinen.» Sie strich mit dem Daumen ihrer freien Hand die Träne von seinem Gesicht. «Ein Mann weint doch nicht.» Eine Weile blieb sie vor ihm sitzen, ließ seine Hand los und küßte seine Finger, einen nach dem anderen. «Du mußt keine Angst haben, Carl. Alles wird gut. Ich verspreche es dir. Ich werde wiedergutmachen, was ich versäumt habe.»
Sie hörte ein Räuspern und drehte sich zur Tür um. Überrascht ließ sie Carl los und sprang auf. Puppe Mandel stand da, in einem ihrer wogenden afrikanischen Gewänder, in der Hand eine silberne Zigarettenspitze, in der eine brennende Zigarette steckte. Die Frauen gingen aufeinander zu und blieben in der Mitte des Salons stehen. Puppe zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch nach oben. «Wer hat es dir gesagt, Kind?» Sie duzte Isabelle auf einmal.
«Peter. Peter Ansaldi.»
Puppe deutete mit der Zigarette zu Carl hinüber. «Er wollte nicht, daß du es erfährst. Am Anfang konnte er noch sprechen, er hat mich beschworen, dich nicht anzurufen, er wollte, daß du ungestört arbeiten kannst.»
Die Frauen setzten sich in ein paar Meter Entfernung von Carl in zwei Sessel. «Aber dann ...», fuhr Puppe fort, «hat er einen zweiten Anfall bekommen ...» Sie senkte die Stimme. «Ich wußte nicht ... wie es weitergeht, ob überhaupt. Ich habe ein paarmal versucht, dich zu erreichen.»
«Ich war in New York.» Isabelle seufzte. «Unterwegs, wie immer.»
Puppe drückte ihre Zigarette aus. «Er ist seit einer Woche wieder zu Hause. Es geht ihm schon viel besser als im Krankenhaus.» Sie drehte sich zu Carl um. «Nicht? Es geht dir viel besser, habe ich ihr gerade gesagt!»
Wie zum Einverständnis hob Carl die Hand, ließ sie aber sogleich wieder sinken.
«Laß uns in die Halle gehen. Es strengt ihn zu sehr an, wenn wir hier sitzen. Er merkt, daß wir über ihn reden, und er ...» Sie ging zu Carl. «Ich bin gleich zurück. Ruh dich aus.»
Sie gingen in die Halle. «Wo ist Charlotte?» fragte Isabelle, und die unausgesprochene Frage schwang mit: Warum sind Sie hier?
Puppe lehnte sich gegen den Kaminsims. Sie war noch immer eine Frau mit Grandezza, voller Ausstrahlung und Stil. Zögernd antwortete sie: «Tja. Da war nicht mehr viel mit ‹in guten und in schlechten Tagen› ... sie gehört zu der Kategorie Frauen, die alles vom Leben wollen, außer Problemen.» Puppe lächelte bitter. «Nachdem sie ihn ins Krankenhaus gebracht hatte – er war im Garten umgefallen, einfach umgefallen ... na ja ... sie hat ihm unmißverständlich gesagt, daß sie nicht die Absicht habe, ihn zu Tode zu pflegen.»
«Das glaube ich nicht.»
«Aber ja!»
«Das kann man doch nicht ... so kalt kann doch selbst Charlotte nicht sein, die beiden sind seit Jahrzehnten verheiratet ...»
Puppe lachte auf, ihr tiefes, abgründiges Lachen. «Sie ist nach Baden-Baden gefahren. Angeblich, weil sie einen Nervenzusammenbruch hatte. Die Art von Nervenzusammenbruch kenne ich: Das ist der Ich-denke-nur-an-mich-Zusammenbruch. Nein, nein, täuschen wir uns nicht ... die beiden haben eine lausige Ehe geführt, eine Ehe auf dem Papier, eine Ehe als Fassade
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