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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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das drei Tage dauernde offizielle Fest zubereiteten. Am offenen Eingang zum Grab wartete eine Gruppe Priester und Frauen, die die Götter darstellten, die bei der Bestattung von Osiris zugegen waren. Huy, der bereits durstig und verschwitzt war, denn die Mittagssonne brannte unbarmherzig auf die ungeschützten Köpfe nieder, fand, dass sie ziemlich dämonisch wirkten, insbesondere die Männer, die die Masken der vier Horussöhne – Falke, Pavian, Schakal, Mensch – trugen. Der in ein Kuhfell gewickelte Sem-Priester lag bereits auf einer Steinbahre und tat, als wäre er der leblose Körper, der wiederbelebt würde. Der Leichenzug hielt an. Der Sarg wurde senkrecht neben dem Eingang aufgestellt und geöffnet, sodass man die fest einbandagierte Gestalt darin sehen konnte. Der Cherheb, der oberste Totenpriester, sprengte zu Beginn der Zeremonie Wasser um den Sarg.
    Es war die erste Grablegung, an der Huy teilnahm, und eine Zeit lang vergaß er sein körperliches Unbehagen wie seine eigenen Sorgen, während er die Durchführung der komplizierten Riten verfolgte. Nur einmal, als Thutmosis in seiner Rolle als Sameref, der liebende Sohn, zu den sterblichen Überresten seiner Mutter ging und ihren Mund und ihre Augen sanft mit dem Urhekau, dem vorgeschriebenen Metallmeißel, berührte, um sie wieder zu öffnen, musste Huy mit den Tränen kämpfen. Nach Thutmosis wiederholte der Sem-Priester die Gesten mit dem kleinen Finger und einem Beutel roter Karneolstücke, um die Farbe auf die Lippen und Augenlider der Frau zurückzubringen.
    Die Opferung von einer Kuh, zwei Gazellen und Enten berührte Huy nicht sonderlich. Das waren Gaben für die Verstorbene, die ebenso wie Brot, Wein und Öl mit ins Grab gelegt werden sollten. Ihr warmes Blut versickerte rasch im Sand, und das Ritual wurde fortgesetzt.
    Als sich die Sonne hinter ihnen schon zum Untergang neigte, wurde Nefer-Mut schließlich in die kühle, feuchte Grabkammer getragen. Die Familie folgte, legte die Kränze, die Anuket gewunden hatte, auf den Sarg und nahm Abschied. Daran nahm Huy nicht teil, dies war der eigentlichen Familie vorbehalten. Er wartete mit den anderen müden Beisetzungsteilnehmern und beobachtete, wie die Zelte in der Wüste aufgeschlagen wurden und der Rauch von den Herdfeuern in der windstillen Luft senkrecht emporstieg. Er war hungrig. Schon bald würde er neben Thutmosis auf einem Kissen sitzen, Wein trinken und gebratene Ente, Feigen und warmes Brot mit Butter essen. Die Reste des Mahls würden, wie es Sitte war, danach in der Nähe der Grabkammer vergraben, und die Gesellschaft würde über den ansteigenden Fluss setzen und in die Stadt zurückkehren.

12
    Die Schule hatte sich bereits ab Mesore, dem Monat vor Beginn der Nilschwemme, zu leeren begonnen. Huy hatte die Grablegung von Nefer-Mut als Entschuldigung gedient, nicht nach Hut-Herib zurückzukehren. Er genoss den Luxus von Ruhe und Leere und freute sich auf lange Tage bei Thutmosis und seiner Familie. Wie erwartet, setzten nach der Bestattung auch die Einladungen wieder ein, doch Huy stellte eine neue und verletzende Distanz zwischen ihnen und ihm fest, wenn er am kühleren Abend mit Thutmosis’ Boot fuhr, mit den vier im eleganten, von Lampen beleuchteten Speisezimmer aß oder mit Nascha scherzte, wenn sie wegen Haushaltsbesorgungen hin und her lief. Von außen betrachtet, waren sie ihm gegenüber ebenso zwanglos und liebevoll wie immer. Aber er spürte einen feinen Riss, bei dem er auf der einen und sie auf der anderen Seite standen. Er überlegte auch, ob die Entfremdung vielleicht nur eingebildet war, weil er sich grundlos die Schuld gab, dass er die Mutter des Freundes nicht hatte retten können. Doch sie war da, sobald er das Haus betrat, und manchmal, im Bruchteil des Moments, ehe er begrüßt wurde, meinte er, Kälte im Gesicht seines Gegenübers auszumachen.
    Thutmosis war allerdings so liebevoll wie immer. Das Band zwischen ihm und Huy war so alt und stark, dass es nicht reißen konnte, und Huy wollte nicht, dass der Freund seinen Verdacht bestätigte, wenn er das Thema anschnitt. Schließlich versetzte ihm Nacht nach wie vor einen Klaps auf den Rücken, gab ihm väterliche Ratschläge hinsichtlich der Schule oder erklärte ihm die militärischen Taktiken, die er und Thutmosis jetzt studierten. Nascha foppte ihn weiterhin. Anuket lächelte ihn gleichfalls weiter an und machte auf der Schilfmatte Platz, wenn er zu ihr ins Kräuterzimmer kam, damit er sich neben sie setzen und

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