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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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inneren Aufruhr ganz genau, dachte Huy bitter. Jeder Schritt auf der Reise durch dieses Buch war ein Kampf zu begreifen, zu verstehen, ein Ganzes aus unklaren Teilen zu schaffen. Meine Seele rebelliert, und ich bin müde. Er las weiter.
    Tauche in Atum ein, und erkenne den Zweck deiner Geburt. Steige zu dem auf, der dieses Buch geschickt hat. Die, die sich in Atum versenken, finden wahres Wissen und werden vollkommen.
    Das war alles.
    Huy schleuderte den Papyrus zu Boden. Am Ende hatte ihn der Weise im Stich gelassen. Er hatte es nicht auf sich genommen, Thots rätselhafte Worte zu erklären. Vielleicht hatte er sie auch nicht verstanden. Oder sie waren ihm nur allzu deutlich, dachte Huy, und er erkannte schlussendlich eine große Gefahr für den nächsten Leser oder sogar für Ägypten selbst. Hat Verwirrung seinen Ach eingehüllt, bis er wahnsinnig wurde, oder hat er das Buch geschlossen mit der klaren Erkenntnis von Atums Willen? Huy schloss die Augen, lehnte sich an den warmen Baumstamm und wiederholte langsam Thots Worte, die bereits in sein Gedächtnis eingeprägt waren. Da der Gott gesagt hatte, dass das Ende zurück zum Anfang führt, rezitierte er das gesamte Buch laut, band jeden Satz in das nahtlose Ganze ein. Das dauerte ziemlich lange, doch als er geendet hatte und nur noch die leisen Geräusche des Isched-Baums die Luft erfüllten, wusste er nicht mehr über Atums Willen als Jahre zuvor. Es überkam ihn keine Eingebung. Kein Schimmer von Verstehen tauchte am Horizont auf. Er legte die Rollen wieder in die Schatulle, stand auf, ging damit zur Pforte und klopfte, um herausgelassen zu werden. In seinem Kopf pochte jetzt ein dumpfer Schmerz, und er wollte nur noch schlafen.
    Als er die Rollen zurück in die geräumige Kammer des Oberpriesters brachte, stand Ramose von seinem Arbeitstisch auf und streckte ihm einen kleinen Lederbeutel hin. »Du siehst erschöpft aus«, sagte er freundlich. »Wir reden jetzt nicht über das, was du gelesen hast. Ruh dich aus. Dies schenkt dir die Rechet zum Geburtstag.« Huy nahm den Beutel und bedankte sich. Er war froh, dass er jetzt kein längeres Gespräch führen musste. Er verbeugte sich, machte sich auf den Weg in seine Kammer und genoss die unbelastete Stille der leeren Hallen.
    Sein Hof lag, wie zu erwarten, verlassen da, und das Gras war lang und saftig, weil die Gärtner es weiter wässerten. Huy ließ sich im duftenden Grün nieder und öffnete den Lederbeutel. Er enthielt ein Papyrusblatt und etwas, das in Leinen gewickelt war. Er nahm beides heraus und las den Brief. Er war von einer einzigartigen, ruhigen Hand in hieratischer Schrift verfasst worden.
    Meister, Huy, zu deinem Namensgebungstag habe ich dir ein Sa angefertigt. Da ich weiß, dass du ein sehr unwissender junger Mann bist, dürfte dir nicht bekannt sein, dass das Sa ein Amulett ist, das besonders starken Schutz bietet. Sein Aussehen ist dir hingegen vom Gebrauch der Hieroglyphen-Schrift bekannt. Es stellt eine Schilfmatte dar, die aufgerollt, einmal gefaltet und am unteren Ende zusammengebunden ist, sodass sie dem Anch-Zeichen ähnelt. Vor vielen Hentis trugen die Sumpfbewohner die gefaltete Matte als Rettungsring um den Hals, um sich über Wasser zu halten, falls sie hineinfielen. Viehhüter benutzten sie zum Schutz vor spitzen Hörnern. Ich spüre, dass du in tiefem Wasser bist, und die spitzen Hörner von Wut und Enttäuschung plagen dich. Häng dir das Amulett um den Hals und besuche mich binnen drei Tagen. Ich bin von meinem Anwesen auf dem Land in das Stadthaus gekommen, um mit dir zu sprechen.
    Huy schlug das Leinen auf. Der Anhänger war aus Elektron gefertigt und glitzerte in der Mittagssonne silbriggolden. Die Kette war aus Silber und hatte kein Gegengewicht. Huy legte sie sofort um. Das Amulett ruhte locker zwischen seinen Brustwarzen, und Huy verspürte sofort seinen beruhigenden Einfluss. Um die anderen Werke der Rechet zu betrachten, spreizte er die Hand. Die Lapislazuli-Augen des winzigen Frosches glühten dunkelblau, und die goldenen Federn des Falken mit dem Menschenkopf waren bis ins Detail auf dem Vogelrücken gezeichnet. Sie kennt mich gut. Sie ist meine Freundin, aber sie ist auch unnachgiebig, wenn es darum geht, den Göttern zu dienen und mich der Bestimmung zuzuführen, zu der sie mich ausersehen haben. Niedergeschlagenheit übermannte ihn. Er sammelte den Papyrus, das Leinen und den Beutel auf, ging in seine kühle Kammer und warf sich auf sein Bett. Seine Muskeln lockerten

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