Der Seher des Pharao
Schließe mit dem kleinen Frosch ab und löste die dicke Flechte. Henenu klatschte in die Hände, und dieselbe Dienerin, die ihnen bei Huys letztem Besuch die Suppe gebracht hatte, erschien mit einer Verbeugung. »Bring Öl und einen Kamm«, wies sie die Rechet an. »Ich werde dein Haar kämmen und ölen, während du mir berichtest. Die Milch und die Feigen sind für dich, falls du hungrig bist.« Huy war vor allem durstig. Er trank die Milch und ließ die Feigen unberührt. Die Dienerin stellte ein Fläschchen mit Parfümöl auf den Tisch und verschwand wieder, die Rechet trat hinter Huy, sodass er sie nicht sehen konnte.
»Ich muss dir für dieses Sa danken«, sagte Huy und nahm das Amulett auf seiner Brust in die Hand. »Woher wusstest du, dass ich es brauchte?«
»Ich hatte so ein Gefühl«, antwortete sie lebhaft. »Der Entwurf ist einfach. Ich brauchte nicht lange für die Herstellung. Woher wusstest du, dass du es brauchst?«
»Thot weist den Leser seines Buches an, sein Sa einzusetzen. Ich wusste nicht einmal was ein Sa ist.« Er wiederholte die wenigen, prägnanten Sätze des fünften Teils und die Absätze des Kommentars, an die er sich erinnerte. Währenddessen spürte er ihre sanften und zugleich festen Hände, die sein Haar entwirrten. Der Kamm glitt hindurch. Sofort befiel Huy ein Gefühl der Ruhe.
»Es reicht über deine Schultern hinunter«, sagte Henenu. »Da schwitzt du doch sehr darunter. Du trägst es nicht nur lang, um die Narbe zu verbergen, oder? Was ist der Grund?«
»Ich weiß es nicht genau«, bekannte Huy. »Teilweise sicher auch, weil ich nicht wie ein Priester – oder eben ein Seher – mit geschorenem Kopf aussehen will.«
»Könnte es auch ein Symbol deiner Jungfräulichkeit sein?«, murmelte sie. Huy wurde steif. Sofort packte sie sein Haar fester. »Machen wir uns nichts vor, mein böser kleiner Schutzbefohlener. Du weißt genau, dass viele deiner Klassenkameraden ihre ersten sexuellen Erfahrungen bereits gesammelt haben. Du bist jetzt fünfzehn – vor dem Gesetz fast ein Mann. Deine Unschuld verfolgt dich allmählich. Du möchtest diesen Zustand beenden. Plötzlich begehrst du auf, möchtest, was andere Männer auch haben, möchtest dir eine Frau suchen, doch vor allem möchtest du die Gabe loswerden, die dir die Götter verliehen haben.«
Huy verspürte eine angenehme Kühle, als sie ein paar Tropfen Öl auf seinen Kopf goss und es in seine Locken massierte. Der schwere, süße Duft stieg ihm sofort zu Kopfe. Es machte ihn zugleich schläfrig und hellwach und verlieh seinen Gliedern eine wohlige Schwere. »Henenu, du gibst mir Drogen. Was ist das für ein Geruch?«
»Reremet«, antwortete sie. »Ich zerstoße die Beeren und tue sie ins Öl, wenn sich jemand entspannen soll. Manchmal sind die Leute, die zu mir kommen, so aufgeregt, dass ich nicht für sie arbeiten kann. Ein paar Atemzüge Reremet beruhigen sie dann.«
Huy hatte schon von den Alraunen gehört, deren Wurzeln aussahen wie ein Mann mit einem Penis. Seine Schulfreunde hatten Witze über ihre aphrodisische Wirkung gemacht. »Ich bin nicht aufgeregt«, entgegnete er empört.
»Doch, das bist du. Du bist ein kleiner Wirbel, Huy. Schließ die Augen und den Mund und lass mich reden.« Huy gehorchte und gab sich der wunderbaren Mattigkeit seines Körpers hin, während sein Geist klar wie immer war. Der Kamm nahm weiter seinen langsamen, rhythmischen Weg von der Spitze seines Kopfes bis hinunter zu den Schulterblättern. »Es ist besser für dich, wenn du dir eingestehst, dass du in deinem Leben nicht die große Wahl hast«, fuhr Henenu fort. »Du kannst entscheiden, was du isst, was du trägst, mit wem du befreundet bist, aber der weitere Gang wurde von den Göttern und von dir bestimmt, als du dich entschieden hast, das Buch Thot zu lesen. Deine Jugend und dein Unwissen ins Feld zu führen, wird nichts nützen!«, sagte sie streng, als Huy den Mund öffnete. »Das Argument habe ich schon gehört. Vergiss es. Es bringt dir nichts. Es ist Zeitverschwendung. Du musst Folgendes begreifen: Du kannst dir eine Frau nehmen, mit einer Hure schlafen, versuchen, irgendwo in der Namenlosigkeit zu verschwinden, aber dein Geschlechtsteil wird nicht mitspielen. Es wird sich deinen Bemühungen verweigern. Je eher du akzeptierst, dass Atum dein Schicksal bestimmt, desto eher wirst du den Frieden erlangen, der dir jetzt fehlt.«
»Selbst der Oberpriester wusste keine Antwort auf die Frage hinsichtlich meiner Jungfräulichkeit und
Weitere Kostenlose Bücher