Der siebte Turm 03 - Aenir - Reich der Schatten
sich selbst übertrug oder indem er die Ketten des Wesens abnahm.
Ich bin ein solcher Gefangener und wurde von Danir an diesen Ort gebunden. Danir, von der du eine Nachfahr in sein willst. Wirst du mich befreien?“
„Das ist kein Rätsel“, sagte Odris mitleidlos. „Das ist eine Frage. Oder eine Feststellung. Oder sonst was.“
Milla runzelte die Stirn. Es war tatsächlich kein Rätsel, doch das Gesicht schien ernsthaft anzunehmen, dass sie es befreien konnte.
„Ich verstehe nicht“, sagte sie. „Danir ist eine entfernte Vorfahrin meines Clans, aber sie war ein Eiscarl. Eiscarls sind nie in diese Welt, nach Aenir, gekommen. Wir leben auf dem Eis in der Dunkelwelt.“
„Es ist mir gleichgültig, wie ihr euer Volk jetzt nennt“, meinte das Gesicht. „Und ich kann mich nicht daran erinnern, wie es früher hieß. Ich weiß nur, dass ich kurz nach der Erschaffung des Schleiers und dem Vergessen von einer Magierin namens Danir an diesen Ort gebunden wurde.“
Milla schüttelte den Kopf. Hierüber mussten die Cronen entscheiden, nicht eine Kriegerin. Sie sehnte sich nach dem klaren Eis und nach einem Feind, gegen den sie kämpfen konnte. Nicht diese Spiele mit Worten und Magie.
„Auch wenn die Danir, die dich hier gebunden hat, dieselbe war wie meine Vorfahrin, besitze ich doch nicht die nötigen Kenntnisse, um dich zu befreien“, sagte Milla. „Ich zähle diese Antwort nicht als die dritte in dem Spiel. Du musst mir ein richtiges Rätsel stellen.“
„Nein, nein“, schluchzte das Gesicht. Tränen aus dunklem Wasser liefen seine Wangen herab. „Du musst mich befreien. Im Laufe der Jahrhunderte kamen so viele Erwählte hier vorbei, doch niemand konnte mich befreien, niemand war aus Danirs Linie. Ich würde dir als Geistschatten dienen…“
„Sie hat bereits einen!“, unterbrach Odris das Jammern des Gesichts. „Was sollte sie mit einem nassen Lappen wie dir anfangen?“
„Bitte“, bettelte das Gesicht. „Ich sitze hier schon so lange. Lass mich frei.“
„Ich weiß nicht wie“, flüsterte Milla. Sie spürte, wie sehr sich das Gesicht nach Freiheit sehnte. Die schlimmste Bestrafung, die ein Eiscarl sich vorstellen konnte, war angebunden zu sein und sich nicht bewegen zu können. Wenn die Eiscarls nicht den Selski-Herden folgen konnten, starben sie.
„Aber ich weiß es“, sagte Odris. „Soll ich dir sagen, wie es geht?“
KAPITEL ZEHN
Nach ein paar Stunden stetigen Marsches hatte Tal die Grasebene hinter sich gelassen. Vielleicht waren sie aber auch in die andere Richtung gegangen. In Aenir konnte man sich nie sicher sein.
Das Gras endete an einer vollkommen geraden Grenze, die sich, so weit Tal sehen konnte, nach Norden und Süden erstreckte. Auf der westlichen Seite lag das Gras und auf der östlichen eine seltsame Wüste aus rotem Sand, durchsetzt mit spitzen blauen Kristallen, die in Säulen wuchsen und aus der Entfernung beinahe wie Bäume aussahen.
Die Kristalle waren äußerst spitz und anscheinend Fleischfresser. Zumindest hingen von den ,Pflanzen‘ überall Reste von Haut und Fleisch und alle waren von zerbrochenen Knochen umgeben.
Tal machte um jede der Kristallpflanzen einen weiten Bogen. So weit er es beurteilen konnte, waren sie unfähig, sich zu bewegen, doch darauf wollte er sich nicht verlassen. Vielleicht konnten sie sich ja wie der Wald bewegen, den er bei der Ankunft in Aenir gesehen hatte.
Je weiter er in die Wüste kam, desto heißer wurde es. Die Kristalle leuchteten hier noch heller und ein hypnotisches Gleißen ging von ihnen aus. So fingen sie wohl ihre Opfer, denn Tal musste sich mehrmals bremsen, um nicht geradewegs in eine der Pflanzen zu laufen. Er wünschte sich seinen alten Schattenwächter zurück. Der hätte seinen Kopf vor der Sonne geschützt und seine Augen bedeckt. Doch der Schattenwächter war weg, lebte sein Leben als erwachsen werdender Dattu.
Dann fiel Tal ein, dass er ja einen Begleiter hatte, der ihn beschirmen konnte. Er blieb stehen und sah nach oben. Adras war ihm in ziemlich großer Höhe gefolgt – jetzt war er nirgends zu sehen. Doch er war nicht weit weg. Tal konnte seine Gegenwart spüren, es bestand eine Verbindung zwischen ihnen. Er erkannte es als die gleiche Bindung, die er mit seinem Schattenwächter gehabt hatte.
„Adras!“, rief Tal. Er war heiser. Am Morgen hatte er aus einem Bach getrunken, doch jetzt sehnte er sich seit Stunden nach etwas Flüssigem. Die Wüste war viel heißer, als sie nach Tals
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