Der Skandal (German Edition)
kein Schnee, wäre die Straße mit den einstöckigen Holzhäusern vollkommen dunkel. Nur hier und da flackert das Licht eines Fernsehers durch die Fenster und färbt die kalte, dunstige Luft grau. Hausnummern entdeckt sie nur selten. Als sie vor der 151 angekommen ist, sieht sie ein Stück vor sich auf derselben Straßenseite, wie sich die Fahrertür einer dunklen Limousine öffnet. Sie bleibt stehen.
Ein Mann steigt aus, er trägt eine Art Uniform, einen Blouson mit Abzeichen auf der Schulter. Sie beobachtet, wie er die Eingangstür aufschließt und in der Dunkelheit verschwindet. Irgendetwas alarmiert sie. Dass er das Treppenhauslicht nicht eingeschaltet hat? Ein Licht blinkt auf. Ist es der Strahl einer Taschenlampe? Schnell steigt sie aus und hetzt über den Bürgersteig. 145! Sie hat recht gehabt. Die Tür ist nur angelehnt. Lautlos, die Pistole schussbereit, drückt sie sie auf und betritt einen schmalen Flur. Unter der Tür am anderen Ende dringt ein Lichtschein hindurch. Dieser Mann, der gerade in Springsteens Wohnung ist, ist sicher nicht Springsteen.
In diesem Augenblick öffnet sich die Tür. Der Lichtstrahl blendet sie, sie erkennt nur die Umrisse des Mannes. Er trägt irgendetwas unter dem Arm.
Sie reißt das Bein hoch und tritt ihm mit dem Fuß gegen die Kehle. Er lässt die Taschenlampe und den anderen Gegenstand fallen und stürzt nach hinten in den Raum. Christina ergreift die Taschenlampe und leuchtet ihm ins Gesicht, sodass er die Augen zukneift. Gleichzeitig drückt sie ihm das Knie auf die Brust und hält ihm die Pistole an die Schläfe.
»Was wollen Sie hier?«, fährt sie ihn an.
Sie legt die Taschenlampe neben sich auf dem Boden ab und will die Innentaschen seiner Jacke durchsuchen, doch plötzlich spürt sie, dass ihre Bewegungen langsamer werden. Ist es das Provigil, dessen Wirkung nachlässt? Ist es, weil sie übermüdet ist? Ist es die Verletzung ihrer Schulter, die sie schwächt? Jedenfalls bewegt sich der Mann unter ihr und schleudert sie von sich herunter, Christina verliert ihre Waffe und schlägt mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Schon ist er bei ihr, sie spürt seinen Atem, als er sie brutal hochreißt. Sie will ihm das Knie in den Unterleib rammen, aber er kann ausweichen, immerhin kommt er ins Taumeln, und sie tritt nach, er pariert mit einem harten Schlag mit der Handkante, der sie am Kinn streift, sie aus dem Gleichgewicht bringt und sie auf einen Tisch wirft. Ihre Hand tastet verzweifelt nach etwas, mit dem sie sich wehren kann, im selben Augenblick dringt mit einem dumpfen Plopp ein Projektil neben ihrem linken Ohr in die Tischplatte ein. Ihre rechte Hand stößt an etwas Spitzes, sie greift zu und reißt die Faust hoch. Genau in dem Moment, als er sich über sie beugt, stößt sie zu. Die Spitze dringt in seinen Bauch, er sackt nach vorn, sie hält den Körper mit den Armen auf und stößt ihn zur Seite. Dumpf landet er auf dem Boden. Sie setzt sich auf, greift nach der Taschenlampe und richtet den Strahl auf den reglosen Körper. Die Augen starren ins Leere. Sie hat ihm einen Brieföffner schräg von unten ins Herz gestoßen.
Rasch steht sie auf, sie weiß, sie hat keine Zeit für Sentimentalitäten, sie hat einen Menschen umgebracht. Es war Notwehr. So war es doch, oder? Oder nicht? Sie steckt seine Waffe in eine Plastiktüte und ihre eigene zurück in die Innentasche. Sie funktioniert jetzt mechanisch, sie ist der Cop, sie ist nicht selbst betroffen, so denkt sie, anders würde sie es gar nicht schaffen.
Jetzt erst schaltet sie das Licht an. Und für einen Augenblick ist es so wie immer, wenn sie an einen Tatort kommt. Eine Leiche. Blut. Umgestürzte Möbel von einem Kampf – oder einem Einbruch. Sie weiß, sie sollte ihre Kollegen anrufen, aber vorher muss sie sich noch umsehen.
Auf dem Schreibtisch liegen Papierstapel und Stifte. Sie hebt das Notebook auf und fährt es hoch. Währenddessen zieht sie Schubladen auf, blättert Papier durch. Phil Springsteen, was wolltest du mir sagen?
Irgendwo müssen doch Memorysticks sein, vielleicht ein Harddrive oder CD-ROMS. Ein Profi legt Kopien seiner Dateien an.
Ihr Blick fällt auf die DVDs unter dem Fernseher. Sie sieht sie schnell durch. Ein paar Spielfilme, The Lord of the Rings und sogar Harry Potter hat er, Serien hat er auch gesammelt, 24 und The Wire und The Sopranos fallen ihr auf, das war es auch schon. Auf einem Sessel entdeckt sie ein Telefon. Als sie die Taste Wählen drückt, erscheinen drei Nummern auf
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