Der Sklave von Midkemia
weil er im Feld ausmanövriert worden war, etwas, das ihm niemals zuvor auf Kelewan geschehen war und auch nicht beim Feldzug des Kriegsherrn gegen die Midkemier.
Der Geschmack der Niederlage war neu und allzu bitter. Tasaio überwachte den Rückzug seiner Armee oder dessen, was von ihr noch übrig war; sein Magen drehte sich um bei der Vorstellung, daß er jede Chance auf Vergeltung zunichte gemacht hatte. Er konnte nicht in der Wüste bleiben und einen zweiten Angriff durchführen, denn die Wüstennomaden, die er als Köder benutzt hatte, würden ihm den Verrat niemals vergeben. Die Stämme waren jetzt gegen ihn, ihre Anführer möglicherweise sogar wütend genug, ihm Blutrache zu schwören. Obwohl Tasaio die Stammesbräuche verachtete und nicht im mindesten Angst vor irgendeiner Vergeltung hatte, die die Wüstennomaden über sein Haus bringen mochten, ließen sie sich auch nicht einfach so abtun. Die Wüstennomaden hatten noch eine blutige Rechnung mit seiner Kompanie zu begleichen, und er würde den ganzen Weg nach Banganok – von wo Schiffe sie wieder in die Kernprovinzen zurückbringen würden – mit kleinen Überfällen rechnen müssen. Diese Nacht saß Tasaio allein und erschöpft unter freiem Himmel im Lager, das sie zwischen zwei Dünen in östlicher Richtung aufgeschlagen hatten, und brütete vor sich hin. Er würde die von der Schlacht zurückgebliebenen Verletzungen nicht mit San-Wein lindern. Seine Soldaten klagten bitter, während sie ihre Wunden verbanden und die Sehwerter neu schärften, doch er versuchte, ihre Stimmen nicht an sich herankommen zu lassen. Vor allem aber blickte er nicht nach Westen, wo das dämmrige Licht des Sonnenuntergangs vom Schein der Siegesfeuer der Acoma und Xacatecas ersetzt wurde. Schon bald, versprach er, würden diese Feuer Asche sein. Schon bald würde Mara diesen Sieg bedauern, denn wenn er sich das nächste Mal mit ihr zum geistigen Kräftemessen traf, würde der Untergang der Acoma allumfassend und endgültig sein.
Umgeben vom weichen Lampenlicht und der gedämpften Unterhaltung zwischen einem Heiler und einem verletzten Soldaten, verbeugte Mara sich im Kommando-Zelt Lord Chipinos auf eine Weise, wie es sich für eine Herrscherin gegenüber einem Höhergestellten schickte. Obwohl der Triumph des heutigen Tages eindeutig ihr gebührte, bestand sie nicht auf den äußeren Zeichen der Anerkennung. Sie wartete nicht hochmütig in ihrem eigenen Zelt, bis der Lord des in ihre Schuld geratenen Hauses zu ihr kam; weise und feinsinnig zwang sie ihre neugewonnene Position nicht einem Lord auf, der den Acoma mehr Schaden als Unterstützung zufügen konnte, wenn sein Stolz zu sehr gekränkt wurde. Doch sie schmeichelte sich auch nicht bei ihm ein, sondern ließ ihre Gegenwart als einen gesellschaftlichen Besuch ohne große Bedeutung erscheinen.
»Mylord Chipino«, eröffnete sie das Gespräch mit einem leichten Lächeln, als sie sich erhob, »ihr habt Interesse an meiner Ehrenwache bekundet und besonders an dem Soldaten, der eine so bemerkenswerte Feigheit vortäuschte, daß Desios hochgelobter Cousin Tasaio seine Wachsamkeit verlor.«
Lord Chipino winkte den Diener weg, der eine heiße Kompresse auf seine schmerzenden Muskeln an Nacken und Schultern gelegt hatte. Seine Haut glänzte vom Massageöl, und er roch nach süßen Salben, als er einem wartenden Sklavenjungen ein Zeichen gab und von ihm eine leichte Robe über die Schultern gelegt bekam. »Ja.« Chipino heftete seine mild dreinblickenden Augen auf die große Gestalt, die im Schatten hinter Mara stand. »Komm her.«
Kevin trat vor; er trug seine midkemischen Hosen und ein Hemd mit weiten Ärmeln, das in der Taille von einem tsuranischen Gürtel aus sich überlappenden Perlmuttscheiben zusammengehalten wurde. Seine blauen Augen lachten, als er stehenblieb, die Hände in die Hüften gestemmt, und Lord Chipinos musternde Blicke über sich ergehen ließ.
Die Augen des Lords der Xacatecas weiteten sich beim Anblick des barbarischen Sklaven, den er oft genug in Maras Zelt beobachtet hatte. Doch jetzt, nachdem der Kommandeur der Acoma ihm erklärt hatte, daß es Kevins Taktik gewesen war, daß sie es seiner barbarischen Logik zu verdanken hatten, daß sie noch lebten, betrachtete er den Mann von der anderen Seite des Spalts etwas sorgfältiger. Er räusperte sich höflich. Da seine Kultur keinerlei Verhaltensvorgaben für den Umgang mit einem heldenhaften Sklaven kannte, begnügte er sich erst einmal mit einem leichten
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