Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Fremde in der Nähe sind. Das ist klüger.«
Die Hakul fuhren auf. Binnen weniger Augenblicke bildeten sie einen Abwehrkreis, die Schwerter oder Bogen in der Hand, während Limdin und Mabak eilig das Feuer mit Erde erstickten. Eine dunkle Gestalt löste sich aus den Schatten. »So viele Waffen, so viel Angst«, sagte der Mann ruhig. Seine Stimme war tief. Im erlöschenden Licht des Feuers erkannte Awin ihn wieder. Es war der Fremde aus seinem Traum. »Limdin, Mabak, hört auf. Lasst das Feuer brennen«, befahl er.
Die Flammen flackerten wieder auf, und Awin besah sich den Fremden näher. Er war untersetzt, trug ein schwarzes Fell über den Schultern und eine Kette mit Tierzähnen um den Hals. Sein struppiges schwarzes Haar war unter einem ledernen, mit kleinen Zähnen verzierten Helm verschwunden. Über der Brust schützte ihn eine Art hölzerner Panzer, der aus vielen kurzen Zweigen zu bestehen schien. Sonst trug er außer einem Lendenschurz keine Kleidung, auch keine Schuhe oder Stiefel. Er führte weder Schwert noch Schild, aber dafür hielt er einen dicken Stab in der Hand, dessen Knauf mit drei grob geschnitzten Köpfen verziert war. Mit übergroßen Augen schienen sie in drei Richtungen in die Nacht zu stieren. An einem Schultergurt hing ein großer lederner Beutel.
»Ich bin Yaman Awin, vom Klan der Schwarzen Dornen. Wenn deine Absichten nicht feindlich sind, heiße ich dich an unserem Feuer willkommen, Fremder.«
»Du bist jung, Yaman«, lautete die Antwort.
»Und ich habe einen Namen, den ich dir genannt habe, Mann. Wie ist der deine?«, erwiderte Awin gereizt.
»Mahuk Raschtar. Heute bin ich nicht dein Feind.«
»Dann lade ich dich im Namen der Hüter ein, das Essen und
das Lager in dieser Nacht mit uns zu teilen«, wiederholte Awin, da der Mann sich nicht vom Fleck rührte.
»Wir haben von den schlafenden Göttern gehört«, sagte Mahuk Raschtar. »Wir glauben an den Sonnengott.«
Es war aufreizend, wie unbesorgt der Mann unter den Bäumen stand. Viele Waffen waren auf ihn gerichtet, aber das schien ihn nicht zu beunruhigen.
»Dann sei unser Gast im Namen des Sonnengottes, Mahuk Raschtar. Ich bin bereit, dir auch in seinem Namen Sicherheit für die Nacht zu versprechen.« Awin wusste, dass das unüblich war, aber wenn der Fremde wirklich nicht an die Hüter glaubte, dann musste er das Misstrauen eben auf andere Weise zerstreuen.
»Ich ehre eure Gastfreundschaft. Im Namen des Sonnengottes.«
Awin warf einen Seitenblick zu Tuge. Dieser zuckte mit den Schultern. »Senkt die Waffen«, rief Awin, »dieser Mann ist unser Gast.«
»Gilt das auch für meine Brüder?«, fragte Mahuk Raschtar.
Awin nickte, ohne nachzudenken. Der Fremde stieß einen Pfiff aus - und der Wald wurde lebendig. Wenigstens dreißig Männer tauchten nach und nach aus dem Laub auf, in dem sie sich offenbar vergraben hatten, und im Gegensatz zu Mahuk Raschtar waren sie gut bewaffnet.
»Wir sind die Ussar. Wir kamen, um gegen das Pferdevolk zu kämpfen. Die Sonnentöchter baten uns darum«, begann Mahuk Raschtar zu erzählen. Seine Männer hatten sich hinter ihm versammelt. Sie alle trugen lederne Helme und Rüstungen, die aus Holz und Leder bestanden. Aus Eisen waren nur ihre Schwerter und die Spitzen ihrer kurzen Wurfspieße. Sie
hielten sich abseits des Lichtscheins, den das Feuer verbreitete, saßen im Laub und hörten zu.
»Und ihr helft den Männertöterinnen vermutlich umsonst«, spottete Harmin.
»Nicht umsonst. Ein Mann, der den Sonnentöchtern dient, erhält im ersten Jahr ein Schwert aus Eisen. Guter Lohn. Dient er zwei Jahre, empfängt er Wurfspieße mit eiserner Spitze. Sind es drei, so wird er mit einem eisenbeschlagenen Schild und sechs Maß Salz belohnt. Das ist viel da, wo die Ussar wohnen. Ein Mann kann damit ein Weib nehmen und eine Familie gründen.«
»Du trägst jedoch weder Schwert noch Speer, Mahuk Raschtar«, warf Awin ein.
»Ich bin der Raschtar. Meine Hände heilen, sie töten nicht.«
»Eure Krieger werden von einem Heiler angeführt?«, fragte Tuge verwundert.
Mahuk Raschtar schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht das Haupt, nur der Raschtar. Vor elf Tagen brach ich auf in die Berge. Gute Kräuter wachsen dort, und Yeku verrät mir ihre Kräfte. Ich ging nicht allein, denn es gibt Feinde rund um die Festung, Pferdevolk, Hakul wie ihr. Als wir wieder von den Bergen hinabstiegen, riet Yeku mir, zu warten. Ich hörte auf ihn, denn ich konnte den Sturm auch sehen. Er kam über die Festung und
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