Der Sonntagsmann
befestigtes Schild wies zwar auf nachbarschaftliche Wachsamkeit hin, aber Elina wusste, dass das eher einem frommen Wunsch entsprach und abschreckende Wirkung haben sollte.
In der Auffahrt stand ein Volvo, und Elina nahm an, dass zumindest eine Person zu Hause war. Hinter den Fenstern regte sich jedoch nichts. Sie beschloss, zwei Stunden abzuwarten und, falls sich bis dahin nichts ereignet haben sollte, am nächsten Tag wiederzukommen. Zumindest konnte sie darauf hoffen, dass er sich zeigen würde. Sie wollte sehen, wie er aussah, wie er sich bewegte. Sie wollte wissen, mit wem sie es zu tun hatte.
Nach fünfunddreißig Minuten wurde die Haustür einen Spaltbreit geöffnet, eine Katze schlüpfte ins Freie, und die Tür wurde wieder geschlossen. Die Katze setzte sich auf die Treppe und sah sich um. Nach einer Weile bewegte sie sich träge auf das Grundstück des Nachbarn zu. Elina gähnte. Die Tür wurde wieder geöffnet, und eine Frau mit einer Plastiktüte trat heraus. Sie schien Anfang sechzig zu sein. Anita Nyman, dachte Elina. Sie war leicht übergewichtig, trug eine Brille und hatte einen geraden Haarschnitt. Die Frau kam direkt auf sie zu, ohne jedoch die Augen auf das Auto zu richten. Sie hob den Deckel der Mülltonne und warf die Plastiktüte hinein. Dann ging sie wieder ins Haus.
Eine Stunde später wurde die Tür erneut geöffnet. Von einem Mann. Ulf Nyman. Sie erkannte ihn von dem Passfoto, das sie von der Polizei in Stockholm bekommen hatte. Offenbar war er die ganze Zeit über zu Hause gewesen. Er ging zum Auto in der Auffahrt und setzte sich hinter das Steuer. Elina ließ ihn ein paar Meter vorausfahren, startete ihren Wagen und folgte ihm. Sie versuchte, den größtmöglichen Abstand zu halten, ohne Gefahr zu laufen, ihn aus den Augen zu verlieren. Er fuhr Richtung Osten. In Täby Centrum bog er auf den großen Parkplatz ab und fand einen Platz. Elina ließ ihn nicht aus den Augen. Er ging in einen Videoladen. Sie parkte rasch und folgte ihm. Er stand vor den Top Twenty. Elina stellte sich vor das Regal mit den Spielfilmen und zog wahllos eine alte Videokassette heraus.
Sie betrachtete ihn schräg von hinten. Er war über ein Meter achtzig groß, hatte graumeliertes, nach hinten gekämmtes Haar, trug einen kurzen Bart und eine Brille mit schwarzem Gestell. Recht schlank, absolut kein sichtbares Übergewicht. Die Schultern etwas gebeugt. Braune Hosen und eine grüne Windjacke. Hätte sie sein Alter nicht gewusst, hätte sie ihn auf fünfundfünfzig oder etwas darüber geschätzt.
Nachdem er sich mehrere Kassettenhüllen angesehen hatte, entschied sich Ulf Nyman für die Nummer dreizehn der Liste. Elina sah, dass es sich um einen schwedischen Spielfilm mit mehreren bekannten Schauspielern handelte, die auch schon früher in erfolgreichen Kinofilmen mitgespielt hatten. Dann ging er langsam durch den Laden und sah sich die anderen Filme an. Er schien sich besonders für das Regal mit den Klassikern zu interessieren. Er ging in die Knie und betrachtete die Filme im untersten Fach. Anschließend bezahlte er die Gebühr für den Spielfilm. Elina blieb ihm auf den Fersen. In jenem Fach standen Pornofilme, die man kaufen konnte. Rasch mal aufgegeilt, dachte sie und betrachtete Ulf Nyman, der an der Kasse stand. Etwas, um die Fantasie anzukurbeln.
Sie folgte ihm aus dem Laden. Er setzte sich in sein Auto, und sie entschloss sich, ihm weiterhin zu folgen. Die Zeit war knapp, und es galt, so viele Eindrücke wie möglich zu sammeln. Wenn sie ihn später verhörte, würde sie besser vorbereitet sein.
Er fuhr dieselbe Strecke zurück und parkte wieder in seiner Auffahrt. Elina fuhr vorbei, ohne in seine Richtung zu schauen. Als sie gewendet hatte und wieder zurückfuhr, war niemand auf dem Grundstück zu sehen. Sie vermutete, dass er sofort ins Haus gegangen war. Sie wendete erneut und fuhr nach Märsta. Im Reihenhaus ihrer Eltern wartete bereits das Abendessen.
36. KAPITEL
Bei ihren Eltern fühlte sie sich immer wieder wie ein Kind, obwohl jetzt niemand von ihr verlangte, bei der Hausarbeit zu helfen. Ihre Mutter bestand darauf, sie mit Essen und Fürsorglichkeit zu verwöhnen. Das einzige, was sie von ihrer Tochter verlangte, war, dass diese ihr beim Kochen Gesellschaft leistete. Elina saß dann auf einem Küchenstuhl und hörte ihrer Mutter zu, wenn sie von ihrem Alltag und ihren Gedanken erzählte.
Elina beschloss, am nächsten Morgen nicht nach Täby zurückzufahren. Sie hatte Nyman gesehen, und ihn
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