Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
geschlossen hatte, dann eilte er zurück zu dem Bündel. Joseph hatte es nicht besonders eilig. Er würde zweifellos erst einmal jemanden suchen, bei dem er sich beschweren konnte. Oder jemanden, auf den er diese unangenehme Pflicht abwälzen konnte.
Ulaf hatte daran gedacht, Joseph um die Laterne zu bitten, aber er hatte es sich sofort anders überlegt. Als gerade erst frisch berufener Ehrenwerter Magus hätte Ulaf eigentlich kaum etwas über die Magie der Leere wissen dürfen – gerade genug, um sich von ihr fernzuhalten. Er hätte nicht auf allen vieren knien und das seltsame Bündel betasten sollen. Die Nacht war dunkel, Wolken bedeckten die Sterne, und der Trevinici hatte das Bündel im Schatten des Tors abgelegt.
Ulaf sah sich noch einmal um, um sich zu überzeugen, dass niemand sonst nächtliche Spaziergänge unternahm. Nachdem er sicher sein konnte, dass der Hof immer noch leer war – um diese nachtschlafende Zeit war das schließlich nur vernünftig – , beugte sich Ulaf über das Bündel, zog die Decke weg, betrachtete die Rüstung, roch daran, stocherte und schubste.
Als ein bekümmert dreinschauender Joseph zurückkehrte, um auszurichten, dass der Hohe Magus auf dem Weg sei und überhaupt nicht glücklich darüber, um diese Zeit geweckt worden zu sein, stand Bruder Ulaf schon wieder da, wo der Pförtner ihn verlassen hatte. Er hatte die Hände in die Ärmel seines Gewandes gesteckt, hielt sich in angemessener Entfernung von dem Bündel und betrachtete es mit Unbehagen. Ulaf hatte nur eine Kleinigkeit verändert, und er nahm nicht an, dass dem Pförtner etwas auffallen würde. Ulaf hatte die Decke nicht wieder über der Rüstung zusammengeschlagen, sondern sie offen liegen lassen.
Lampen wurden entzündet. Oben auf der Treppe zeichnete sich eine dunkle Gestalt vor dem hellen Licht ab. Der Hohe Magus war ein Mann von würdiger Haltung, um die sechzig, mit weißem Haar und einem weiß gesträhnten Bart. Er hatte ein klar geschnittenes Gesicht mit fein gemeißelten Zügen und tiefen Falten, die von Willenskraft und eiserner Entschlossenheit kündeten. Der Hohe Magus runzelte beim Anblick Ulafs ein wenig die Stirn, aber Ulaf tat so, als hätte er es nicht bemerkt. Er wusste genau, dass man ihn hier weder mochte noch ihm traute. Die Tatsache, dass er aus Vinnengael stammte, lieferte den Dunkarganern bereits ausreichenden Anlass für ihr Misstrauen, aber Ulaf war sich dessen bewusst, dass die Abneigung des Hohen Magus gegen ihn tiefer ging.
»Bruder Ulaf«, sagte der Hohe Magus lebhaft und hellwach. Falls er geschlafen hatte, war er schnell wach geworden. »Man sagt mir, dass Ihr mich in einer dringenden Angelegenheit sehen wollt, die nicht bis zum Morgen warten kann.«
Gereizt betonte er die letzten Worte.
Ulaf verbeugte sich, wie es angemessen war. Er näherte sich dem Hohen Magus ehrfürchtig und sprach mit gedämpfter Stimme, in die er das angemessene Entsetzen mit einfließen ließ.
»Ich wusste nicht, was ich tun sollte, Hoher Magus. Ich dachte, Ihr solltet unterrichtet werden.« Ulaf riss im Laternenlicht die Augen weit auf. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Was, Bruder Ulaf?«, fauchte der Hohe Magus. Er interessierte sich nicht für das, was er für das typisch melodramatische Verhalten eines Bürgers von Vinnengael hielt.
Ulaf zeigte respektvoll in die Ecke. Der Hohe Magus drehte sich um und betrachtete das Bündel auf dem Schlitten.
»Joseph, bring die Laterne.«
Joseph eilte sich, dem Befehl nachzukommen, und hielt die Laterne direkt über die dunkle Rüstung, die nicht im Licht schimmerte, sondern es aufzusaugen schien. Der Hohe Magus ging einen Schritt darauf zu, dann erstarrte er. Er war sehr erfahren, wenn es darum ging, seine Miene zu beherrschen, aber Ulaf, der ihn genauestens aus dem Augenwinkel beobachtete, bemerkte das rasche Zucken, das über seine Züge glitt.
»Magie der Leere, Hoher Magus«, glaubte Ulaf erklären zu müssen.
»Dessen bin ich mir bewusst, Bruder Ulaf«, zischte der Hohe Magus. »Gib Bruder Ulaf die Laterne, bevor du sie fallen lässt, Joseph, und kehre auf deinen Posten zurück.«
Ulaf nahm die Laterne aus der zitternden Hand des Pförtners, der die dunkle Rüstung entsetzt anstarrte. Joseph setzte dazu an zu gehen, aber er konnte den Blick nicht von dem schrecklichen Bündel abwenden und wäre beinahe gestolpert.
»Warte, Joseph!«, sagte der Hohe Magus. »Wo kommt dieses Ding her? Wie ist es an diesen Ort gelangt?«
»Ein… ein Offizier hat
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