Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
sagten. Aber es kam ihm so vor, dass der Vrykyl den Worten des Hohen Magus ehrfürchtig lauschte und sich hin und wieder sogar verbeugte.
Der Vrykyl setzte dazu an zu gehen, aber dann blieb er noch einmal stehen. Er drehte den insektenhaften Helm in alle Richtungen, als suche er nach etwas. Ulaf hielt den Atem an und erstarrte wie ein Kaninchen, wenn die Hunde in der Nähe sind.
»Worauf zum Teufel wartest du noch, Jedash?«, wollte der Hohe Magus wissen. »Ich habe dir gesagt, du sollst gehen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört.« Die Stimme aus dem Helm klang schrecklich, kalt und hohl.
»Eulen. Wölfe. Ratten.« Der Hohe Magus winkte ab. »Geh und finde diesen Trevinici. Durchsuche die Kasernen, suche überall. Es ist möglich, dass er von der Leere verseucht ist. Lass dich davon leiten.«
»Ich dachte daran, Kommandant Drossel die Sache zu überlassen, Shakur.«
»Drossel.« Der hohe Magus runzelte die Stirn. »Stand seine Loyalität nicht einmal in Frage?«
»Nur Dunkarga gegenüber, Shakur. Seine Loyalität uns gegenüber ist eindeutig. Er wird allerdings eine Belohnung erwarten.«
»Er besitzt die Gunst von Dagnarus, dem Lord der Leere. Das sollte eigentlich Belohnung genug sein.« Der Hohe Magus wirkte gereizt. »Was will er denn noch?«
»Eine Beförderung. Ein Gespräch unter vier Augen mit Lord Dagnarus.«
»Der Dummkopf!«, murmelte der Hohe Magus leise. »Er weiß nicht, wie gut es ihm geht. Dann versprich Drossel eben, was er will, Jedash, wenn es anders nicht geht. Erstatte mir Bericht, wenn alles erledigt ist. Ich werde dann weitere Anweisungen für dich haben.«
»Jawohl, Shakur.«
Die Dunkelheit verbeugte sich und verschwand. Der Hohe Magus stieg mit seinem Bündel in den Weinkeller. Er schloss die Tür hinter sich, und Ulaf hörte den Schlüssel im Schloss knirschen.
Ulaf holte tief Luft. Er hatte in seinem Leben viele seltsame und schreckliche Dinge gesehen und geglaubt, gegen alles gefeit zu sein, aber er hatte nie zuvor einen Vrykyl in seiner wahren Gestalt erblickt. Seine Hände zitterten, kalter Schweiß lief ihm über den Rücken, und er musste einen Augenblick warten, um das wilde Zucken seines Herzens zu beruhigen. Dann schlich er langsam zur Küche zurück, wo er sich in den dunklen Schatten der Speisekammer hockte und mit sich selbst und dem Herrn, dem er diente, eine Beratung abhielt – einem Herrn, der weit entfernt, aber in Gedanken immer nah war.
»Ihr hattet Recht, Shadamehr«, murmelte er seinem unsichtbaren Lehnsherrn zu. »Der Hohe Magus ist ein Vrykyl, und andere Vrykyl dienen ihm. Ich wusste es, sobald ich das Licht in diese toten Augen scheinen ließ, und das hier bestätigt Euren Verdacht nur noch mehr. Er hat Dagnarus erwähnt, den Lord der Leere.« Ulaf seufzte tief, schüttelte den Kopf und fügte leise hinzu. »Die Götter mögen uns beistehen, Herr, Ihr hattet Recht.«
Ulaf dachte noch einen Augenblick nach und wog seine Möglichkeiten ab. Da er daran gewöhnt war, in Notfällen rasch zu handeln, war er bald zu einem Entschluss gekommen.
»Mein Leben ist nichts mehr wert. Ich weiß zu viel. Dieser falsche Hohe Magus wird mich zunächst los, indem er mich nach Neu-Vinnengael schickt, aber ich wette, die Anweisungen, die er diesem Geschöpf gegeben hat, betreffen auch mich, denn der Vrykyl muss dafür sorgen, dass ich Neu-Vinnengael nie erreiche und nie erzählen kann, was ich gesehen habe. Ich werde auf der Straße in einen Hinterhalt geraten, meine Leiche wird in einen Graben geworfen werden oder noch schlimmer.
Es ist Zeit, dass Bruder Ulaf verschwindet. Er wird heute Nacht verschwinden, und niemand wird wissen wohin. Der Hohe Magus wird annehmen, dass ich sein Geheimnis entdeckt habe, aber das geht nicht anders. Meine Arbeit hier ist getan, und die schlimmsten Befürchtungen meines Herrn haben sich bestätigt. Nun ist es meine Pflicht, so rasch wie möglich zu Shadamehr zurückzukehren. Wir könnten bereits zu spät dran sein…«
Ulaf hatte seine Flucht schon seit langem geplant – das war immer das Erste, was er tat, wenn er irgendwo eintraf. Innerhalb von dreißig Minuten würde Bruder Ulaf aus dem Tempel verschwunden sein, und Ulaf der reisende Händler oder Ulaf der Söldner würde sich auf die Reise von Dunkarga nach Vinnengael machen und von dort aus zur Burg seines Lehnsherrn, Baron Shadamehr, weiterziehen.
»Dieser Vrykyl hat den Hohen Magus mit ›Shakur‹ angesprochen«, murmelte Ulaf vor sich
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