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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Gerechtigkeit zu erschüttern war; und, was am schlimmsten zu ertragen war, die stolze Abscheu vor seinem eigenen Urteil, vor seiner Forderung, sich selbst als niedriger zu betrachten als diese Frau, die er verachtete.
    Doch dann machte es ihm nichts mehr aus, es wich alles in eine weite Ferne zurück, hinterließ nur den Gedanken, dass er bereit war, alles zu ertragen; hinterließ ihn in einem Zustand, der sowohl Spannung als auch Ruhe war – denn er lag im Bett, sein Gesicht in das Kissen gepresst, und dachte an Dagny, an ihren schlanken, empfindsamen Körper, der neben ihm ausgestreckt lag und unter den Berührungen seiner Finger erzitterte. Er wünschte, sie wäre zurück in New York. Wenn sie da wäre, hätte er sich jetzt sofort, mitten in der Nacht zu ihr auf den Weg gemacht.
    *
    Eugene Lawson saß an seinem Schreibtisch, als wäre es das Armaturenbrett eines Kampfflugzeuges, mit dem er den gesamten Kontinent unter sich kommandierte. Manchmal aber vergaß er es und sackte zusammen, während die Muskeln unter seinem Anzug erschlafften, als schmollte er der Welt. Sein Mund war das Einzige an ihm, was er nicht in der Lage war, jederzeit stillzuhalten; er stach unvorteilhaft aus seinem hageren Gesicht hervor und zog die Augen jedes Zuhörers auf sich. Wenn er sprach, lief ein Zucken durch seine Unterlippe, das das feuchte Fleisch eigenartig verzerrte.
    „Ich schäme mich nicht dafür“, sagte Eugene Lawson. „Ich möchte, dass Sie wissen, Miss Taggart, dass ich mich für meine Vergangenheit als Präsident der Community National Bank in Madison nicht schäme.“
    „Ich habe nichts von Scham gesagt“, sagte Dagny kalt.
    „Man kann mir keine moralische Schuld geben, denn ich habe bei dem Zusammenbruch der Bank selbst alles, was ich besaß, verloren. Ich glaube, dass ich das Recht habe, auf ein derartiges Opfer stolz zu sein.“
    „Ich wollte Ihnen lediglich ein paar Fragen über die Twentieth Century Motor Company stellen, die …“
    „Ich werde Ihnen gerne alle Fragen beantworten. Ich habe nichts zu verbergen. Mein Gewissen ist rein. Wenn Sie dachten, dieses Thema sei mir peinlich, lagen Sie falsch.“
    „Ich wollte mich über die Männer erkundigen, die die Fabrik besaßen, als Sie den Kredit an …“
    „Die Männer waren völlig in Ordnung. Sie waren ein völlig normales Risiko – obwohl ich natürlich vom menschlichen Standpunkt aus spreche, nicht vom Standpunkt kalter Zahlen aus, wie man das von Bankiers erwartet. Ich habe ihnen den Kredit gewährt, um die Fabrik zu erwerben, weil sie das Geld brauchten. Für mich war es genug, wenn Menschen Geld brauchten. Mein Maßstab war Bedürftigkeit, Miss Taggart. Bedürftigkeit, nicht Gier. Mein Vater und mein Großvater haben die Community National Bank aufgebaut, um für sich selbst ein Vermögen anzuhäufen. Ich habe ihr Vermögen in den Dienst eines höheren Ideals gestellt. Ich habe nicht auf Bergen von Geld gesessen und Sicherheiten von armen Leuten verlangt, die Kredite brauchten. Das Herz war meine Sicherheit. Natürlich erwarte ich nicht, dass mich in diesem materialistischen Land irgendjemand versteht. Die Gegenleistungen, die ich bekam, waren nicht das, was Leute in Ihrer Position schätzen würden, Miss Taggart. Die Leute, die in der Bank vor meinem Schreibtisch saßen, Miss Taggart, waren nicht wie Sie. Sie waren bescheiden, unsicher, von Kummer gezeichnet und hatten Angst zu sprechen. Meine Belohnung waren die Tränen der Dankbarkeit in ihren Augen, die zitternden Stimmen, die Segenswünsche, die Frau, die meine Hand küsste, als ich ihr einen Kredit gewährte, um den sie überall sonst vergeblich gebettelt hatte.“
    „Würden Sie mir bitte die Namen der Eigentümer des Motorenwerks nennen?“
    „Dieses Werk war von äußerster Wichtigkeit für die Region, absolut essenziell. Es war völlig gerechtfertigt, dass ich ihnen den Kredit gewährte. Es hat Tausenden von Arbeitern, die keine andere Möglichkeit hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, Arbeit gegeben.“
    „Kannten Sie irgendjemanden von den Leuten, die in der Fabrik gearbeitet haben?“
    „Natürlich. Ich kannte sie alle. Es waren die Menschen, die mich interessierten, nicht die Maschinen. Ich war mit der menschlichen Seite der Industrie befasst, nicht mit der Registrierkassenseite.“
    Gespannt lehnte sie sich über den Schreibtisch. „Kannten Sie jemanden unter den Ingenieuren, die dort arbeiteten?“
    „Die Ingenieure? Nein, nein. Ich war viel demokratischer. Ich habe

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