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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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großen Geheimnissen Indiens offenbart ist, die Befreiung aus den Fesseln des Fleisches, den Sieg über die physische Natur, den Triumph des Geistes über die Materie.“
    Durch die sie blendende, hell funkelnde Wut hindurch sah Dagny einen langen Betonstreifen, der einmal eine Straße gewesen war, aus dessen Rissen das Unkraut schoss, und die gekrümmte Gestalt eines Mannes an einem Handpflug.
    „Aber, mein Kind, ich sagte doch, dass ich mich nicht erinnern kann. … Aber ich kenne ihre Namen nicht, ich kenne überhaupt keine Namen, ich weiß nicht, was für Abenteurer mein Vater dort in diesem Labor hatte! … Verstehen Sie mich nicht? … Ich bin es nicht gewohnt, auf diese Weise ausgefragt zu werden, und … Wiederholen Sie es doch nicht ständig. Kennen Sie kein anderes Wort als ‚Ingenieur‘? … Verstehen Sie mich denn überhaupt nicht? … Was ist mit Ihnen? Ich … ich mag Sie nicht, Sie sind … Lassen Sie mich in Ruhe. Ich weiß nicht, wer Sie sind, ich habe Ihnen nichts getan, ich bin eine alte Frau, sehen Sie mich doch nicht so an, ich … Gehen Sie weg! Kommen Sie nicht näher, oder ich rufe nach Hilfe! Ich … Oh ja, ja, den kenne ich. Den Chefingenieur. Ja. Er war der Leiter des Labors. Ja. William Hastings. So hieß er – William Hastings. Ich erinnere mich. Er ging nach Brandon, Wyoming. Er kündigte einen Tag, nachdem wir den Plan eingeführt hatten. Er war der zweite Mann, der uns kündigte. … Nein. Nein, ich erinnere mich nicht, wer der erste war. Er war niemand Wichtiges.“
    *
    Die Frau, die ihr die Tür öffnete, hatte ergrauendes Haar und ein selbstsicheres, vornehmes und gepflegtes Auftreten. Erst nach einigen Sekunden erkannte Dagny, dass ihre Kleidung lediglich aus einem schlichten Hauskleid aus Baumwolle bestand.
    „Dürfte ich mit Mr. William Hastings sprechen?“, fragte Dagny.
    Die Frau sah sie für den Bruchteil einer Sekunde zögernd an. Es war ein seltsamer Blick, fragend und traurig. „Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“
    „Ich bin Dagny Taggart von Taggart Transcontinental.“
    „Oh. Bitte kommen Sie herein, Miss Taggart. Ich bin Mrs. William Hastings.“ Der verhaltene, traurige Ton lag wie eine Vorwarnung auf jedem Wort, das sie sagte. Ihr Auftreten war höflich, aber sie lächelte nicht.
    Es war ein bescheidenes Haus am Rand einer Industriestadt. Blattlose Bäume ragten oberhalb des Anstieges, der zum Haus führte, in das helle, kalte Blau des Himmels. Die Wände des Wohnzimmers waren silbergrau; die Sonne schien auf das kristallene Gestell einer Lampe mit einem weißen Lampenschirm. Hinter einer geöffneten Tür befand sich eine Frühstücksecke, die weiß mit roten Punkten tapeziert war.
    „Kannten Sie meinen Mann geschäftlich, Miss Taggart?“
    „Nein, ich habe Mr. Hastings nie getroffen. Aber ich würde ihn gerne in einer geschäftlichen Angelegenheit von großer Wichtigkeit sprechen.“
    „Mein Mann ist vor fünf Jahren gestorben, Miss Taggart.“
    Dagny schloss ihre Augen. Der dumpfe Schock, der sich auf sie legte, enthielt die Schlussfolgerungen, die sie nicht in Worte fassen musste: Das war also der Mann gewesen, den sie gesucht hatte, und Rearden hatte Recht behalten; das war der Grund, warum der Motor auf einem Schrotthaufen zurückgelassen worden war.
    „Es tut mir leid“, sagte sie, teils zu Mrs. Hastings, teils zu sich selbst.
    Die Andeutung eines Lächelns in Mrs. Hastings’ Gesicht verriet ihre Traurigkeit, zeigte aber keine Spur von Verzweiflung, sondern nur einen ernsten Ausdruck der Stärke, Schicksalsergebenheit und stillen Heiterkeit.
    „Mrs. Hastings, würden Sie erlauben, dass ich Ihnen einige Fragen stelle?“
    „Natürlich. Bitte setzen Sie sich.“
    „Wussten Sie irgendetwas über die wissenschaftliche Arbeit Ihres Mannes?“
    „Sehr wenig. Eigentlich nichts. Er sprach zu Hause nicht davon.“
    „Er war doch früher Chefingenieur der Twentieth Century Motor Company?“
    „Ja. Er war achtzehn Jahre lang dort angestellt.“
    „Ich wollte Mr. Hastings nach seiner Arbeit dort fragen und nach dem Grund, warum er sie aufgegeben hat. Wenn Sie mir das sagen können, würde ich gerne wissen, was in dieser Fabrik vorgefallen ist.“
    Ein trauriges und leicht belustigtes Lächeln breitete sich in Mrs. Hastings’ Gesicht aus. „Das würde ich selbst gerne wissen“, sagte sie. „Aber ich fürchte, ich werde es jetzt nie mehr erfahren. Ich weiß, warum er die Fabrik verlassen hat. Es war wegen eines ungeheuerlichen Systems, das die Erben

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