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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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gesetzt, sie hatten sich auf ihre Arbeit verlassen und auf ihre eigene – und sie war nun gezwungen worden, sie zu verraten, weil sie in eine Falle der Plünderer getappt war: Es würde keine Züge geben und keine Lebensader für Güter, die John-Galt-Linie war nur ein Abflussrohr gewesen, das es Jim Taggart ermöglicht hatte, ein Geschäft zu machen und ihr Geld im Tausch dafür, dass er anderen gestattete, seine Eisenbahn auszubluten, unverdient in seine eigene Tasche fließen zu lassen. Die Anleihen der John-Galt-Linie, die noch an diesem Morgen die stolzen Wächter der Sicherheit und Zukunft ihrer Inhaber gewesen waren, waren innerhalb einer Stunde zu Papierfetzen geworden, die niemand kaufen würde, ohne Wert, ohne Zukunft, ohne Macht außer derjenigen, die Tore zu schließen und die Räder der letzten Hoffnung des Landes anzuhalten – und Taggart Transcontinental war keine lebende Pflanze, die sich von selbstproduziertem Saft ernährte, sondern ein Kannibale des Augenblicks, der die ungeborenen Kinder der Größe verschlang.
    Eine Steuer für Colorado, dachte sie, die Steuer, die von Ellis Wyatt erhoben werden würde, um den Lebensunterhalt derer zu bestreiten, deren Aufgabe es war, ihn zu fesseln und ihm die Lebensgrundlage zu entziehen, derer, die darauf achten würden, dass er keine Züge bekam, keine Tankwagen, keine Pipeline aus Rearden-Metall – Ellis Wyatt, dem das Recht auf Selbstverteidigung entzogen wurde, der ohne Stimme, ohne Waffen dastand und, schlimmer noch, zum Werkzeug seiner eigenen Zerstörung gemacht wurde, zum Unterstützer seiner Zerstörer, zum Beschaffer ihrer Nahrung und ihrer Waffen; Ellis Wyatt, der von seiner eigenen hell leuchtenden Energie, die gegen ihn gekehrt als Schlinge benutzt wurde, erdrosselt wurde; Ellis Wyatt, der eine unerschöpfliche Quelle von Schieferöl hatte erschließen wollen und der von einer zweiten Renaissance sprach …
    Sie saß vornübergebeugt und war mit dem Kopf auf den Armen am Fensterbrett zusammengesunken, während draußen die weiten Kurven grünblauer Schienen, die Berge, die Täler, die neuen Städte von Colorado im Dunkeln unbemerkt vorbeiglitten.
    Das plötzliche Rucken der Bremsen riss sie aufrecht in die Höhe. Dies war kein geplanter Halt, und der Bahnsteig des kleinen Bahnhofes war übervoll mit Menschen, die alle in dieselbe Richtung blickten. Die Passagiere rings um sie drängten sich an die Fenster und starrten hinaus. Sie sprang auf, lief durch den Gang und die Stufen hinunter, hinaus in den kalten Wind, der auf dem Bahnsteig wehte.
    In dem Augenblick, bevor sie es sah und ihr Schrei die Stimmen der Menge verstummen ließ, wusste sie, dass sie gewusst hatte, was sie jetzt sehen würde. In einem Einschnitt zwischen den Bergen war der Hügel von Wyatt Oil zu einer undurchdringlichen Feuerwand geworden, die den Himmel erleuchtete und einen glühenden Schein auf die Wände und Dächer des Bahnhofes warf.
    Später, als man ihr sagte, Ellis Wyatt sei verschwunden und habe nichts zurückgelassen als ein Schild, das er auf einen Pfeiler am Fuße des Hügels genagelt hatte, als sie seine Handschrift auf dem Schild sah, kam es ihr vor, als hätte sie gewusst, dass diese Worte daraufstehen würden: „Ich hinterlasse es, wie ich es aufgefunden habe. Nehmt es. Es gehört euch.“

TEIL Zwei
    ENTWEDER – ODER
    I. Der Mann, der auf die Erde gehörte
    D r. Robert Stadler schritt in seinem Büro auf und ab. Er wünschte, er würde die Kälte nicht spüren.
    Der Frühling ließ in diesem Jahr lange auf sich warten. Draußen vor dem Fenster schien das tote Grau der Hügel nahtlos mit dem schmutzigen Weiß des Himmels und dem bleiernen Grau des Flusses zu verschwimmen. Manchmal färbte sich weit drüben auf einem Hügel ein Fleck silbergelb, fast grün und verblasste gleich darauf. Die Wolkendecke riss von Zeit zu Zeit etwas auf, ließ einen Sonnenstrahl hindurch und schloss sich sofort wieder. Nicht im Büro war es kalt, dachte Dr. Stadler, es war dieser Anblick, der ihn frieren ließ.
    Es war heute nicht kalt, dachte er, der Frost saß ihm in den Knochen, die aufgestaute Kälte der Wintermonate, in denen er sich von Dingen wie mangelhafter Heizung oder von Leuten, die über das Sparen von Heizöl sprachen, von seiner Arbeit ablenken lassen musste. Es war absurd, dachte er, wie die Naturereignisse immer stärker Einfluss auf die Geschicke der Menschen nahmen: Bisher war es nie von Bedeutung gewesen, ob ein Winter ungewöhnlich streng war; wenn früher

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