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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Holz befeuert?“
    „Ja, das sagte ich doch, holzbefeuert. Ich hatte vorher noch nie eine gesehen, nur auf Fotos. Aus welchem Museum haben Sie die geholt? Tun Sie jetzt nicht so, als wüssten Sie von nichts. Sagen Sie mir nur, was dahintersteckt.“
    „Ja, natürlich wusste ich davon“, sagte Taggart hastig. „Es war nur … Sie haben nur zufällig genau die Woche erwischt, in der wir ein paar Schwierigkeiten mit unseren Triebwagen hatten – unsere neuen Lokomotiven sind schon bestellt, aber es hat eine leichte Verzögerung gegeben – Sie wissen ja, welche Probleme wir mit den Herstellern von Lokomotiven haben – aber das ist nur vorübergehend.“
    „Selbstverständlich“, sagte Boyle. „Gegen Verzögerungen kann man nichts machen. Jedenfalls ist es der seltsamste Zug, mit dem ich jemals gefahren bin. Es hat mir beinah die Eingeweide herausgerüttelt.“
    Nach ein paar Minuten bemerkten sie, dass Taggart still geworden war. Er schien mit einer persönlichen Angelegenheit beschäftigt zu sein. Als er abrupt und ohne Entschuldigung aufstand, erhoben auch sie sich, wie auf seinen Befehl.
    Larkin stammelte mit einem etwas zu eifrigen Lächeln: „Es war mir eine Freude, Jim. Eine Freude. So entstehen wirklich große Projekte: bei einem Drink mit Freunden.“
    „Soziale Reformen entwickeln sich nur langsam“, sagte Taggart kühl. „Es ist ratsam, sich in Geduld zu üben und achtsam zu sein.“ Zum ersten Mal sah er dabei zu Wesley Mouch. „Was ich an Ihnen mag, Mouch, ist, dass Sie nicht zu viel reden.“
    Wesley Mouch war Reardens Mann in Washington.
    Ein Rest des Sonnenuntergangs erhellte noch den Himmel, als Taggart und Boyle zusammen auf die Straße traten. Dieser Übergang kam für beide etwas überraschend, hatten sie doch nach der engen Bar eher mit nächtlicher Dunkelheit gerechnet. Ein hohes Gebäude hob sich scharf und gerade wie ein erhobenes Schwert vom Himmel ab. Dahinter hing in der Ferne der Kalender.
    Taggart nestelte mürrisch an seinem Mantelkragen und knöpfte ihn zu, um sich vor der Kälte auf der Straße zu schützen. Er hatte nicht geplant, an diesem Abend noch zurück ins Büro zu gehen, aber er musste zurück. Er musste mit seiner Schwester sprechen.
    „… ein schwieriges Unterfangen liegt vor uns, Jim“, sagte Boyle gerade, „ein schwieriges Unterfangen, das viele Gefahren und Komplikationen birgt und bei dem so viel auf dem Spiel steht …“
    „Alles hängt davon ab“, antwortete James Taggart langsam, „dass man die richtigen Leute kennt, die es ermöglichen. … Das ist es, was man wissen muss – wer es ermöglicht.“
    *
    Dagny Taggart war neun Jahre alt, als sie beschloss, eines Tages die Taggart Transcontinental Railroad zu übernehmen. Sie fasste diesen Entschluss, als sie einmal allein zwischen den Schienen stand und mit den Augen den beiden geraden Stahllinien folgte, die sich immer weiter entfernten und schließlich in einem Punkt zusammenliefen. Voller Stolz und Freude sah sie, wie die Schienen sich in die Wälder schnitten. Sie gehörten nicht zwischen alte Bäume, zwischen grüne Äste, die auf Büsche und vereinzelte wilde Blumen herabhingen, aber sie waren da. Die beiden Stahllinien funkelten in der Sonne, und die schwarzen Schwellen kamen ihr vor wie die Sprossen einer Leiter, die sie erklimmen musste.
    Es war keine spontane Entscheidung, sondern nur die in Worte gefasste Bestätigung dessen, was sie schon lange gewusst hatte. In unausgesprochenem Einverständnis, als wären sie durch einen Schwur gebunden, den es nicht nötig war zu leisten, hatten sie und Eddie Willers sich seit den ersten bewussten Tagen ihrer Kindheit der Eisenbahn verschrieben.
    Sie empfand für die Welt, die sie unmittelbar umgab, nichts als Langeweile und Gleichgültigkeit, gegenüber anderen Kindern ebenso wie gegenüber Erwachsenen. Sie nahm es als ein bedauerliches Unglück hin, das sie für eine Weile geduldig ertragen musste, dass sie unter dummen Menschen gefangen war. Sie hatte einen Blick in eine andere Welt erhascht, und sie wusste, dass sie irgendwo existierte: jene Welt, die Züge, Brücken, Telegrafendraht und Signallampen, die in der Nacht blinkten, hervorgebracht hatte. Sie musste warten, dachte sie, und in diese Welt hineinwachsen.
    Sie hatte niemals versucht zu erklären, warum ihr die Eisenbahn gefiel. Was auch immer die anderen empfanden, sie wusste, dass mit diesem Gefühl niemand mithalten konnte. Dasselbe empfand sie in der Schule während der Mathematikstunden,

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