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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Miss Taggart, sie stehlen sie nachts, und unsere Vorräte sind bald erschöpft, das Sektionslager ist leer, was sollen wir tun, Miss Taggart?“
    Doch zugleich wurde in einem Volkspark in Washington ein Superfarbfernseher für die Touristen aufgestellt – und am State Science Institute wurde mit dem Bau eines Super-Zyklotrons zur Erforschung kosmischer Strahlung begonnen, das in zehn Jahren fertiggestellt sein sollte.
    „Das Problem unserer modernen Welt“, sagte Dr. Robert Stadler im Radio bei der Zeremonie zum Baubeginn des Zyklotrons, „liegt darin, dass zu viele Menschen zu viel denken. Das ist die Ursache aller augenblicklichen Ängste und Zweifel. Eine aufgeklärte Bevölkerung sollte die abergläubische Verehrung der Logik und das überholte Vertrauen in die Vernunft aufgeben. Ebenso wie Laien die Medizin den Ärzten und die Elektronik den Ingenieuren überlassen, sollten Menschen, die nicht qualifiziert sind zu denken, alle Denkarbeit den Fachleuten überlassen und Vertrauen in deren größere Autorität haben. Nur Fachleute sind in der Lage, die Entdeckungen der modernen Wissenschaft zu verstehen, die bewiesen haben, dass das Denken eine Illusion ist und der Verstand ein Mythos.“
    „Dieses Zeitalter des Elends ist Gottes Strafe dafür, dass der Mensch die Sünde begangen hat, sich auf seinen Verstand zu verlassen!“, knurrten die triumphierenden Stimmen der Mystiker sämtlicher Sekten jeglicher Couleur an Straßenecken, in regendurchweichten Zelten, in zerfallenden Gotteshäusern. „Dieses weltweite Martyrium ist die Folge des Versuchs, nach der Vernunft zu leben! Hierhin haben das Denken, die Logik und die Wissenschaft euch gebracht! Und es wird keine Erlösung geben, bis die Menschen begreifen, dass der sterbliche Verstand unfähig ist, die Probleme der Menschheit zu lösen und zum Glauben zurückkehren, zum Glauben an Gott, zum Glauben an eine höhere Autorität!“
    Und Tag für Tag begegnete ihr das Endprodukt all dessen, der Erbe und Abkassierer: Cuffy Meigs, der Mann, der immun war gegen jegliches Denken. Cuffy Meigs schritt in einer halbmilitärischen Uniformjacke durch die Büros von Taggart Transcontinental und ließ dabei eine glänzende Lederaktentasche gegen die glänzenden Ledergamaschen schlagen. In einer Jackentasche steckte eine Automatikpistole, in der anderen eine Hasenpfote.
    Cuffy Meigs ging ihr aus dem Weg; sein Verhalten ihr gegenüber war halb verächtlich, als hielte er sie für eine weltfremde Idealistin, und halb abergläubisch-ehrfürchtig, als besäße sie irgendeine unbegreifliche Macht, mit der er sich lieber nicht anlegte. Er verhielt sich, als passte sie nicht in sein Bild von einer Eisenbahngesellschaft und als wäre sie zugleich die Einzige, die er nicht herauszufordern wagte. In seinem Verhalten Jim gegenüber lag ein Anflug ungeduldigen Grolls, als wäre es Jims Pflicht, mit ihr zu verkehren und ihn zu beschützen. Ebenso wie er von Jim erwartete, den Eisenbahnbetrieb aufrechtzuerhalten, damit er selbst frei war für praktischere Aktivitäten, erwartete er auch, dass Jim sie auf Spur hielt, als Teil des Maschinenparks.
    Vor ihrem Bürofenster hing die Anzeigetafel des Kalenders leer in der Ferne wie ein Pflaster, das man auf eine Wunde am Himmel geklebt hatte. Der Kalender war seit dem Abend von Franciscos Abschied nicht repariert worden. Die Beamten, die an jenem Abend zum Kalenderturm geeilt waren, hatten den Motor ausgeschaltet und den Film aus dem Projektor gerissen. Wohl hatten sie das kleine Quadrat mit Franciscos Botschaft in dem Streifen durchnummerierter Tage gefunden, doch wer es dort hingeklebt, wer sich wann und wie Zugang zu dem abgeschlossenen Raum verschafft hatte, das hatten die drei Untersuchungsausschüsse, die den Fall noch immer untersuchten, nicht herausgefunden. Bis sie zu einem Ergebnis kamen, hing die Anzeigetafel leer und reglos über der Stadt.
    Sie war auch am Nachmittag des 14. September leer, als das Telefon in ihrem Büro klingelte. „Ein Mann aus Minnesota“, sagte ihre Sekretärin.
    Sie hatte ihre Sekretärin angewiesen, sämtliche Anrufe dieser Art zu ihr durchzustellen. Es waren die Hilferufe, die zugleich ihre einzige Informationsquelle darstellten. In einer Zeit, in der die Bahnbediensteten nur noch Geräusche absonderten, die eine Kommunikation vermeiden sollten, stellten die Stimmen dieser namenlosen Männer ihre letzte Verbindung mit ihrem Eisenbahnnetz dar, die letzten Funken von Vernunft und gequälter Ehrlichkeit, die

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