Der Streik
was sie bedeutete, das Wissen, dass es seine Hand war, dass sie über ihren Körper strich, als wäre er sein Eigentum, dass er mit dieser Bewegung gleichsam seine Unterschrift unter die Gesamtleistung, die sie selbst darstellte, setzte und sie damit annahm. Es war lediglich die Wahrnehmung eines körperlichen Vergnügens, doch sie beinhaltete ihre Verehrung für ihn, für all das, wofür seine Person und sein Leben standen – vom Abend der Vollversammlung in einer Fabrik in Wisconsin über das Atlantis in einem verborgenen Tal in den Rocky Mountains bis hin zu dem triumphalen Spott in den grünen Augen in dem Kopf mit dem überragenden Verstand auf den Schultern eines Arbeiters am Fuß des Stellwerks. Sie beinhaltete ihren Stolz auf sich selbst, darauf, dass sie es war, die er als seinen Spiegel erwählt hatte, dass es ihr Körper war, der ihm nun die Summe seines Lebens schenkte, ebenso wie sein Körper ihr die Summe ihres Lebens schenkte. All dies war darin enthalten – doch was sie wahrnahm, war nur die Bewegung seiner Hand auf ihren Brüsten.
Er riss ihr das Cape herunter, und durch seine Umarmung spürte sie, wie schlank ihr eigener Körper war, so, als wäre er lediglich ein Werkzeug, welches ihr das eigene Selbst in all seiner Großartigkeit bewusst machte, und zugleich so, als wäre dieses Selbst nur ein Werkzeug, welches ihr seine Person bewusst machte. Ihr schien, als erreichte sie die Grenzen ihrer Fähigkeit zu fühlen, doch was sie fühlte, war wie eine ungeduldig herausgeschriene Forderung, die sie in dem Augenblick nicht in Worte fassen konnte. Sie wusste nur, dass sie von der gleichen Art war wie der Ehrgeiz, der ihrem Leben eine Richtung gegeben hatte, ebenso unerschöpflich und herrlich gierig.
Er zog ihren Kopf für einen Moment nach hinten, um ihr in die Augen zu sehen, um sie seine Augen sehen zu lassen, um sie die volle Bedeutung ihrer Handlungen wissen zu lassen, als würde er das Scheinwerferlicht der Bewusstheit auf sie werfen für die Begegnung ihrer Blicke, und es war ein Augenblick größerer Intimität als die, die ihnen nun bevorstand.
Dann spürte sie das grobe Sackleinen auf der Haut ihrer Schultern und fand sich auf den zerrissenen Sandsäcken wieder, sah den Glanz ihrer hautengen Strümpfe, spürte seinen Mund auf ihrem Knöchel und dann in einer quälend langsamen Bewegung an ihrem Bein hochwandern, als wollte er sich dessen Form mittels seiner Lippen aneignen. Dann spürte sie, wie ihre Zähne sich in seinen Arm gruben, sie spürte, wie sein Ellbogen in einer ausladenden Bewegung ihren Kopf zur Seite stieß und sein Mund mit einem Druck von ihren Lippen Besitz ergriff, der heftiger und schmerzhafter war als der ihre – dann traf dieser Druck ihre Kehle, und sie empfand etwas, was sie nur als Aufwärtsbewegung wahrnahm, die ihren Körper in einer einzigen Erschütterung der Lust befreite und einte – dann nahm sie nichts mehr wahr als die Bewegungen seines Körpers und die ungestüme Gier, die immer mehr wollte, als wäre sie kein Mensch mehr, sondern nur die Wahrnehmung eines unendlichen Strebens nach dem Unmöglichen – und dann wusste sie, dass es möglich war, und sie keuchte und lag still und wusste, dass nicht mehr begehrt werden konnte, niemals.
Er lag neben ihr auf dem Rücken und blickte in die Dunkelheit des Granitgewölbes über ihnen. Sie sah ihn ausgestreckt auf der unebenen Schräge der Sandsäcke liegen, als wäre sein Körper flüssig vor Entspannung. Sie sah ihr Cape als schwarzen Keil zu ihren Füßen über die Schienen geworfen, Wassertröpfchen glitzerten an der Decke, glitten langsam dahin, rannen in unsichtbare Risse wie die Lichter fernen Verkehrs. Als er sprach, klang seine Stimme so, als führte er ruhig einen Satz fort, mit dem er die Fragen in ihrem Kopf beantwortete, als hätte er nun nichts mehr vor ihr zu verbergen und als wäre seine Seele vor ihr zu entblößen das, was er ihr jetzt schuldete, genauso einfach, wie er seinen Körper entkleidet hatte: „… auf diese Weise habe ich dich zehn Jahre lang beobachtet … von hier aus, von unter der Erde unter deinen Füßen … und ich kannte jede deiner Handlungen in deinem Büro an der Spitze des Gebäudes, doch ohne dich je zu sehen … niemals genug … zehn Jahre voller Nächte, mit Warten darauf verbracht, einen Blick auf dich zu erhaschen, hier, auf den Bahnsteigen, wenn du in einen Zug gestiegen bist … Immer wenn die Anweisung erging, deinen Waggon anzukoppeln, erfuhr ich davon und
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