Der Streik
Hand auf der Tür seines Autos stehenblieb, den Kopf hoch erhoben, und ganz kurz sah ich unter der schrägen Hutkrempe ein Lächeln aufblitzen, ein zuversichtliches Lächeln, ungeduldig und ein wenig belustigt. Und dann habe ich einen Augenblick lang das getan, was ich noch nie getan hatte und womit die meisten Menschen sich das Leben ruinieren; ich sah diesen Augenblick aus seinem Zusammenhang gerissen, ich sah die Welt, wie er sie erscheinen ließ, als würde sie zu ihm passen, als wäre er ihr Symbol; ich sah eine Welt der Leistung, der unversklavten Tatkraft, des ungehinderten zweckgerichteten, lebenslangen Strebens nach dem Genuss der verdienten Belohnung; dort im Regen, mitten in einer Schar Landstreicher, habe ich gesehen, was meine Jahre mir eingetragen hätten, wenn diese Welt existiert hätte, und ich verspürte eine verzweifelte Sehnsucht danach – er war das Inbild all dessen, was ich hätte sein sollen … und er hatte alles, was hätte mein sein sollen. … Doch das war nur ein Augenblick. Dann sah ich die Szene wieder in ihrem tatsächlichen Zusammenhang und in all ihrer gegenwärtigen Bedeutung; ich sah, welchen Preis er für sein überragendes Können zahlte, welche Qualen er mit stummer Bestürzung ertrug, während er darum rang zu verstehen, was ich verstanden hatte; ich sah, dass die Welt, die er suggerierte, nicht existierte und erst noch erschaffen werden musste, ich sah ihn wieder als das, was er war, das Symbol meines Kampfes, der unbelohnte Held, den ich rächen und befreien musste – und dann … dann habe ich akzeptiert, was ich über dich und ihn erfahren hatte. Ich sah, dass es nichts änderte, dass ich damit hätte rechnen müssen – dass es richtig war.“
Sie stöhnte leise, und er lachte in sich hinein.
„Dagny, es ist nicht so, dass ich nicht leide, aber ich weiß, wie unbedeutend das ist, ich weiß, dass man den Schmerz bekämpfen und über Bord werfen muss, statt ihn als Teil der eigenen Seele und als dauerhafte Narbe auf der eigenen Lebenseinstellung zu akzeptieren. Bedauere mich nicht. Es war sofort vorbei.“
Sie drehte den Kopf und sah ihn schweigend an, und er lächelte, stützte sich auf den Ellbogen und sah auf sie hinab, während sie hilflos dalag. Sie flüsterte: „Du bist ein Gleisarbeiter, hier – hier! – seit zwölf Jahren …“
„Ja.“
„Seitdem …“
„Seitdem ich bei der Twentieth Century Motor Company aufgehört habe.“
„An dem Abend, an dem du mich zum ersten Mal gesehen hast … da hast du hier gearbeitet?“
„Ja. Und an dem Morgen, an dem du angeboten hast, als Köchin für mich zu arbeiten, war ich nur dein Gleisarbeiter auf Urlaub. Verstehst du jetzt, warum ich damals so gelacht habe?“
Sie sah hoch in sein Gesicht; ihr Lächeln war gequält, seines – drückte reine Freude aus. „John …“
„Sprich es aus. Aber sprich alles aus.“
„Du warst hier … all die Jahre …“
„Ja.“
„… all die Jahre … während die Eisenbahn allmählich zugrunde ging … während ich nach intelligenten Menschen gesucht habe … während ich um jedes Stück Schrott gerungen habe, das ich finden konnte …“
„… während du das Land nach dem Erfinder meines Motors durchforstet hast, während du James Taggart und Wesley Mouch durchgefüttert hast, während du deine größte Leistung nach dem Feind benannt hast, den du vernichten wolltest.“
Sie schloss die Augen.
„Ich war all die Jahre hier“, fuhr er fort, „in Reichweite, in deinem eigenen Reich, und habe deinen Kampf verfolgt, deine Einsamkeit, deine Sehnsucht. Ich habe dich bei einem Kampf beobachtet, von dem du glaubst, dass du ihn für mich ausfichtst, bei einem Kampf, durch den du meine Feinde unterstützt hast und in dem du eine Niederlage nach der anderen einstecken musstest; ich war hier, verborgen durch nichts anderes als einen Trugschluss deines Sehvermögens, so, wie Atlantis nur durch eine optische Täuschung verborgen wird; ich war hier und habe auf den Tag gewartet, an dem du sehen würdest, an dem du erkennen würdest, dass alles, was du wertschätzt, nach dem Kodex der Welt, die du unterstützt, in die finstersten Tiefen des Untergrunds verbannt gehört und dass du genau dort suchen musst. Ich war hier. Ich habe auf dich gewartet. Ich liebe dich, Dagny. Ich liebe dich mehr als mein Leben, ich, der ich die Menschen lehre, wie das Leben geliebt werden muss. Ich lehre sie auch, niemals etwas zu erwarten, für das sie nicht bezahlen – und was ich heute Abend
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