Der stumme Tod
ich.«
Weinert nickte. »Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte er. »Die Runde geht auf mich.« Weinert schnippte nach Schorsch, eine Angewohnheit, die der Wirt des Dreiecks gar nicht leiden konnte, aber der Journalist war zu euphorisch, um das zu bemerken.
Rath hatte es nicht weit bis nach Hause, nur einmal quer über die Kreuzung. Schwer bepackt, die klobige Schreibmaschine vor der Brust, darauf das Skript, den Drehplan und die beiden Filmdosen balancierend, kreuzte er ein paar Minuten später den Hof am Luisenufer. Als er das Hinterhaus betrat, stellte er fest, dass er Post im Briefkasten hatte. Erst musste er seine Last in der Wohnung abliefern. Mit Mühe und Not schaffte er es, die Schlüssel aus der Manteltasche zu fischen und aufzuschließen.
Er packte die Schreibmaschine mitsamt Filmutensilien auf den Küchentisch, ging gleich wieder nach unten und schloss seinen Briefkasten auf. Zwei Briefe ohne Briefmarke fielen ihm auf, sie erinnerten ihn an den Umschlag, in dem damals im September die fünftausend Mark gewesen waren. Noch im Treppenhaus riss er den ersten auf. Kein Geld. Hochglanzfotos mit grinsenden Männergesichtern. Oppenberg hatte ihm die Fotos besorgt. Mit im Umschlag lag ein Fünfzigmarkschein, Oppenbergs schlechtes Gewissen.
Der zweite Brief war amtlicher. Rath öffnete ihn in der Küche und erkannte den Briefkopf des Polizeipräsidiums. Ein Brief von Böhm!
Da es unmöglich scheint, Sie auf dem normalen Dienstweg zu erreichen, greifen wir zu diesem ungewöhnlichen Mittel, um Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass die Ermittlungen im Todesfall Betty Winter ab sofort unter der Leitung von Oberkommissar Wilhelm Böhm stehen. Melden Sie sich nach Erhalt dieses Schreibens unverzüglich beim Rechtsunterzeichner.
Der Rechtsunterzeichner war Wilhelm Böhm. Links hatte Ernst Gennat den Brief unterschrieben. Hatte die Bulldogge also schon beim Buddha gepetzt.
Gennat hatte ihn ausdrücklich vor Alleingängen gewarnt, aber hatte Rath sich denn etwas vorzuwerfen? Er hatte Gräf, Czerwinski und Henning doch gut beschäftigt, außerdem die Fahndung, die Gerichtsmedizin und den Erkennungsdienst eingeschaltet. Dass Böhm zu blöd war, ihn zu erreichen, war doch nicht sein Problem! Gereon Rath gehörte eben nicht zu den Bürokraten im Polizeicorps, die mit ihren fetten Hintern Bürostühle schrottreif saßen, er war unterwegs, auf der Straße. Die Wahrheit war nur draußen zu finden, vor Ort, wo sich die Verbrechen abspielten, nicht zwischen zwei Aktendeckeln.
Rath pfefferte Böhms Brief in den Papierkorb, hängte Mantel und Hut an die Garderobe, ging ins Wohnzimmer, legte eine Platte auf, suchte und fand Papier in der Kommodenschublade, holte die angebrochene Flasche Cognac aus dem Schrank und ging so beladen zurück in die Küche, um das erste Blatt in die Maschine zu spannen.
Es ging zäh voran, er musste dauernd an Charly denken. War sie es wert, dass er sich diesen Ärger mit Brenner eingehandelt hatte?
Natürlich war sie es wert. Sie war noch viel mehr wert, ganz andere Dinge wert.
Rath verscheuchte die Gedanken mit einem weiteren Schluck Cognac und machte sich wieder an seinen Bericht.
Wort für Wort hämmerte er die Buchstaben auf das Papier. Langsam kam er in Fahrt. Sie würden ihm morgen schon nicht den Kopf abreißen. Böhm würde anerkennen müssen, dass Kriminalkommissar Rath gute Arbeit geleistet hatte - dass die Ermittlungsgruppe von Kommissar Rath gute Arbeit geleistet hatte, so musste er es darstellen. Er hatte den ED gestern zur Guerickestraße geholt, heute noch einmal zur Terra-Film. Alleingänge sahen doch wohl anders aus!
Ein paar Mal klingelte das Telefon, er ließ es klingeln.
Der Berg mit zerknüllten Blättern auf dem Fußboden wuchs, die Cognacflasche wurde leerer. Er brauchte den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend, unterbrach seine Arbeit nur zum Plattenwechseln und für ein kleines Abendbrot. Er fühlte sich halbwegs im Reinen mit sich selbst, als er das letzte Blatt auf den inzwischen ganz ansehnlichen Papierstapel legte. Die Cognacflasche war leer. Irgendetwas sagte ihm, dass er auch diese Nacht keine Albträume haben würde.
Dienstag,
4. März 1930
Kapitel 21
Er hatte den Wecker auf eine frühe Zeit gestellt, doch war es das Telefon, das ihn aus dem Schlaf schreckte. Rath schaute auf das
Zifferblatt. Viertel vor sechs! Wer um alles in der Welt rief um diese Uhrzeit an?
Er drehte sich auf die andere Seite, aber das Klingeln nahm kein Ende. Da war
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