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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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entfernt. Die flachen weißen Wände des Gebäudes schienen vor dem Samtschwarz der Nacht wie die Aschenglut eines ausgehenden Feuers zu glimmen. Untertags hatten sich die älteren Bewohner auf dieser Veranda gedrängt und die Sonne genossen, doch jetzt war sie abgesehen von den beiden alten Leuten, die ungeduldig auf ihn warteten, und zwei Dutzend verstreut stehenden Liegestühlen leer.
    Der Rabbi rieb sich nervös mit der freien Hand die Stirn, als wollte er einen Gedanken ausradieren. Mit der anderen Hand drückte er eine jüdische Bibel mit schwarzem Einband an die Brust. Er bemerkte, dass Winters Blick darauffiel, und so erklärte er anstelle einer Begrüßung: »In Zeiten wie diesen, Detective, spendet das Wort Gottes Trost.«
    Winter nickte. »Und was teilt Er uns mit?«
    »Er sagt, wir sollen uns seiner Weisheit anvertrauen.«
    Das sagt er immer, dachte Simon Winter.
    Frieda Kroner deutete auf den Haupteingang zum Hotel.
    »Da wird Irving vermisst«, berichtete sie. »Er ist spurlos verschwunden.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Der Schattenmann hat ihn geholt.«
    »Wie können Sie sich da so sicher sein?«, fragte Winter. Weder sie noch der Rabbi beantwortete die Frage. Stattdessen drehte Frieda Kroner sich um und stürmte mit einer solchen Zielstrebigkeit die Treppe hinauf, dass sie die anderen beiden unwillkürlich mitriss. Als sie zu dritt die Lobby betraten, blieb Winter stehen. Eine Wand zierte ein verblassendes Fresko mit dem Namensvetter des Hotels bei seiner Ankunft in der Neuen Welt. Es war im charakteristisch theatralischen Stil der dreißiger Jahre gemalt, mit heroischer Gestik und stiller Ehrfurcht bei den Spaniern ebenso wie den Ureinwohnern, als seien sie sich im tiefsten Innern des historischen Moments bewusst, den sie erlebten. Keine Spur von Konflikt oder blutigem Kampf oder Angst und Schrecken, die bald folgen sollten. Vor dem Fresko stand ein altes schwarzes Ledersofa. In der Mitte saß darauf ein dünner, grauhaariger Mann und las eine Zeitung auf Jiddisch. Als sie eintraten, sah er zu ihnen auf, dann wandte er sich wieder betont seiner Lektüre zu. Doch Simon Winter fiel auf, dass er seine Lesebrille neben sich auf den Sitz gelegt hatte und somit in Wahrheit sie beobachtete und ihr Gespräch belauschte. Neugier, dachte der Detective, ist wohl nicht selten die Domäne der sehr Jungen und der sehr Alten.
    »Hier lang«, verkündete Frieda Kroner. Sie packte ihn am Ellbogen und manövrierte ihn in eine Ecke der Eingangshalle, in der ein Mann an einem kleinen Schreibtisch mit einem antiquierten Telefonschaltbrett saß. Er war jünger als sie und Latino. Als die drei auf ihn zukamen, zuckte er mit den Achseln. »Mrs.Kroner«, erklärte er mit starkem Akzent. »Was soll ich sagen? Ich habe immer noch kein Lebenszeichen von Mr.Silver. Nicht das geringste.«
    »Hat die Polizei sich bei Ihnen gemeldet?«
    »Ja.

, natürlich. Direkt, nachdem Sie dort hatten angerufen. Sie fragen mich, ob für Mr.Silver ist ungewöhnlich, nicht da zu sein, und ich sage ja, und Sie fragen, ob mir irgendetwas Ungewöhnliches oder Komisches ist aufgefallen, also geben sie mir eine Nummer, und ich soll Sie anrufen, falls ich irgendwas weiß, aber das ist alles.«
    »Idiotisch«, murmelte sie. »Der Schattenmann bringt uns um, und die Polizei möchte wissen, ob jemandem etwas Ungewöhnliches auffällt. Verdammt!« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich möchte, dass Sie meine Freunde und mich in Mr. Silvers Apartment lassen.«
    »Mrs.Kroner, ich …«
    »Sofort.«
    »Aber das ist …«
    »José«, sagte sie mit eiserner Miene und richtete sich kerzengerade auf, »unverzüglich.« Sie deutete mit einer schwungvollen Bewegung auf Rubinstein. »Dieser Mann ist ein Rabbi. Sie können ihn nicht warten lassen!«
    Sie äußerte das mit solcher Autorität, dass der Angestellte von seinem Stuhl sprang und dem Geistlichen zunickte. »Aber nur für einen kurzen Moment, Mrs.Kroner, bitte.«
    Das winzige Apartment von Irving Silver war mustergültig ordentlich und sauber. Ein paar Bücher, die der Größe nach auf einem Regal angeordnet waren, ein paar Zeitschriften so auf dem Sofatisch ausgelegt, dass man mit einem Blick die Titel lesen konnte. Auf einer Kommode standen die obligatorischen Fotos von entfernten Verwandten. Simon Winter strich mit einer Hand über die Oberfläche. Hinter ihm warteten der Rabbi und Mrs.Kroner gespannt, als rechneten sie mit einer Erklärung. Simon Winter ging zügig durch das

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