Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
er Benedikt und dem Pfarrer zur Eingangstür. Der Pfarrer drehte sich ein letztes Mal um. „Es ist ein Wunder, dass Sie überlebt haben, Erik. Ein Wunder.“ Dann ging er.
Anna versorgte Eriks Verletzungen, und später brachte sie ihm zu essen und zu trinken. Der Pfarrer hatte eine Karaffe seines besten Whiskeys beigesteuert. Nachdem Erik sich satt gegessen hatte, setzte er sich vor den Kamin. Der Whiskey brannte sich durch seine aufgeraute Kehle wie flüssiges Feuer. Er schenkte sich ein zweites Glas ein. Dann legte er sich aufs Bett und kroch unter die Decke. Er fühlte sich warm und geborgen. Der Whiskey ließ die Erinnerung an den Gletscher verblassen. Das Brennen in seinen aufgerissenen Händen ließ nach, und der Schmerz in seinen Knochen wurde leise und dumpf. Er lag auf dem Bett und versuchte, die wirbelnden Gedanken in seinem Kopf zu ordnen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Er leerte sein Glas und schloss die Augen. Und irgendwann, endlich, konnte er schlafen.
Ka pitel 28
Er stand vor Xaver Wredes Haus und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Hinter dem Haus bellten Lucy und Arco in ihren Zwingern. Er lauschte auf Schritte im Flur. Noch einmal schlug er gegen das Holz. „Xaver! Sind Sie da?“
Niemand antwortete ihm. Das Bellen der Hunde wurde lauter, brach plötzlich ab und setzte erneut ein. Erik drückte die Klinke herunter. Die Eingangstür schwang auf. Der Gestank von Schweiß und Kot, Entzündung und Eiter stieg ihm in die Nase. Im Lazarett hatte dieser Geruch ihn eingehüllt und betäubt wie Chloroform. Er hatte Monate gebraucht, um ihn aus der Nase zu bekommen, und Jahre, um nicht mehr an ihn zu denken. Er schluckte den sauren Speichel hinunter, der mit einem Mal seinen Mund füllte. „Xaver?“, rief er.
Er ging durch den Flur in die Küche und in die Wohnstube. Im Ofen brannte kein Feuer. Die Räume waren ausgekühlt. Erik folgte der Treppe ins Obergeschoss. Die Stufen knarrten unter seinen Schritten, und es klang laut in der Stille des Hauses. „Xaver?“, rief er noch einmal.
Er durchforschte seine Erinnerung nach dem Namen von Wred es Frau. „Andrea? Wo sind Sie?“
Der Gestank brachte ihn zum Würgen. Auf dem oberen Treppenabsatz hielt er inne und lauschte. Er hörte die Hunde draußen bellen. Der Wind rüttelte an den Fensterläden. Er wandte sich nach rechts und blieb plötzlich stehen. Mitten auf dem abgedunkelten Flur stand Xaver Wredes Tochter. Sie trug ein fleckiges Nachthemd. Ihr langes braunes Haar war verfilzt und hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht. In einer Hand hielt sie eine speckige Stoffpuppe. Erik sah sie erschrocken an. Was sein Herz schneller schlagen ließ und seine Haut zum Kribbeln brachte, war nicht ihr erbärmlicher Zustand. Es waren ihre Augen. Sie waren so dunkel und leer wie der Abgrund des großen Grabens. Unter ihrem Blick fühlte er sein Innerstes nach außen gekehrt. Das Mädchen stand ihm reglos gegenüber. Erik bemühte sich, langsam und gleichmäßig zu atmen. „Hallo, Julia“, sagte er, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte. „Bist du ganz allein?“
Ihr Gesicht zeigte keine Regung.
Draußen bellten die Hunde und sprangen gegen die Gitter der Zwinger. Erik ließ den Blick durch den verlassenen Flur schweifen. Dann drehte er sich wieder zu dem Mädchen um. „Wo sind deine Eltern?“
Sie antwortete nicht.
Erik hörte das Plätschern, bevor er die Flüssigkeit sah, die an den Beinen des Mädchens hinunterlief. Ein dunkler Fleck breitete sich zu ihren Füßen aus. Er wandte sich ab. Dann sprang er erschrocken einen Schritt zurück. Direkt neben ihm, nur wenige Zentimeter entfernt, stand Wredes Frau Andrea.
Erik stieß die angehaltene Luft aus. „Andrea!“, sagte er. „Sie haben mich erschreckt.“
Die Hunde hatten aufgehört zu bellen. Andrea sah ihn aus glasigen Augen an. „Wer sind Sie?“, fragte sie so leise, dass Erik sie kaum verstehen konnte. „Ich kenne Sie nicht. Was machen Sie in meinem Haus?“
„Mein Name ist Erik Strauss. Wir sind uns bereits vorgestellt worden. Verzeihen Sie mein Eindringen, ich wollte lediglich nach Ihrem Mann sehen.“
„Verschwinden Sie, oder es wird Ihnen leid tun.“
„Ich bin der neue Lehrer, erinnern Sie sich nicht an mich?“
„Sie haben kein Recht, hier zu sein. Hier herumzuschleichen wie ein Dieb in der Nacht.“
Erik schluckte und erwiderte ihren Blick. „Wo ist Ihr Mann?“
„Wie ein gedungener Mörder. Ich werde die Polizei rufen.“ Ihre glasigen Augen
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