Der Tod bin ich
sträubte. Es gelang ihm noch, seine Wahrnehmung zu präzisieren: Weniger der Mensch als ein mit Stoff umwickeltes, keulenartiges Schlaginstrument behagte ihm nicht. Dann fuhr ein dumpfer Schmerz in seinen Schädel, er kippte nach hinten und kam neben der Toilettenschüssel zu liegen.
Sergej beugte sich hinunter und öffnete das Köfferchen. Mit großer Zufriedenheit vermerkte er, dass es sich bei dem erbeuteten Stück allem Anschein nach um reichhaltiges Material handelte. Er versenkte den Handschuh in seiner Manteltasche, fasste Razor unter den Achseln, zog ihn auf die Schüssel hoch und drückte die Tür zu.
Sergej überblickte die Szenerie noch einmal, bückte sich abermals, um das Köfferchen zu verschließen. Dabei war ihm, als habe ihn jemand leicht an die Schultern gefasst. Verwundert wollte er sich aufrichten, doch dann brachte ihn ein kräftiger Stoß zu Fall. Er stürzte auf die Knie, ein Stiefeltritt klappte seinen Oberkörper nach vorne, er schlug auf und lag nun bäuchlings auf dem Boden. Er nahm noch wahr, wie sein Gegner ihm beide Knie in den Rücken stemmte. Dann zog sich die Drahtschlaufe zu.
Razor erwachte. Der Boden schwankte. Sein wundes Hirn gab durch, dass er sich noch auf einem Schiff befand. Ihm war speiübel. Endlich merkte er, dass er ein hartes Drahtstück in seinen Händenhielt. Gegenstände mit den Augen zu fixieren gelang ihm nicht. Alles schien in Nebelschwaden eingehüllt. Razor konzentrierte sich und verfolgte den Lauf der Drahtschlinge weiter. Vor ihm auf dem Boden lag ein lebloser Körper, zu Tode stranguliert mit dem Instrument, das man ihm in die Hand gelegt hatte. Das dicke Gesicht des Toten war blau-violett gefärbt. An der Kappe, die neben ihm lag, erkannte er trotz der Verunstaltung, dass es sich um den rundgesichtigen Chauffeur handelte. Blitzartig realisierte Razor jetzt, dass hier noch eine dritte Partei eingegriffen hatte. Erst jetzt nahm er wahr, dass es unerträglich stank. Im letzten Erschlaffen der Muskeln hatte sich der Sterbende in seine Hosen entleert.
Die aufkommende Panik war wie ein Stromstoß, der in Razor alle Sinne erwachen ließ und sein Bewusstsein der Gefahr schärfte. Er musste unter allen Umständen vermeiden, mit dem Tod dieses Menschen in Verbindung gebracht zu werden. Wer auch immer hier eingegriffen hatte, hatte genau diesen Plan verfolgt. Er öffnete die Tür der Toilettenkabine. Ob während seiner Bewusstlosigkeit jemand das WC betreten und die andere Kabine benutzt hatte, ließ sich nicht sagen. Falls doch, war die Sache unauffällig geblieben, das Personal jedenfalls hatte niemand verständigt.
Zeit, er musste Zeit gewinnen!
In der Ecke lag ein Gummikeil, mit dem man die äußere Tür aufgestemmt halten konnte. Razor schob ihn von innen unter den Schlitz, sodass der Zugang blockiert war. Neben dem Waschbecken war eine Luke nach draußen. Er öffnete sie. Man blickte von dort aus hinunter aufs Wasser. Idee und Entschluss waren eins. Er zerrte den Toten mit den Füßen voraus aus der Kabine. Die Totenstarre war noch nicht eingetreten, wohl aber eine gewisse Gliedersteife. Das aber konnte seiner Absicht nur förderlich sein. Vor der geöffneten Luke schulterte Razor den Körper. Er bugsierte ihn so an das Fenster, dass zunächst sein Kopf und dann der Oberkörper ins Freie ragten.Ruck um Ruck schob er ihn weiter nach draußen, bis der steife Leib Übergewicht bekam, hinunterfiel und klatschend auf dem Wasser aufschlug.
Razor wartete atemlos, was nun passieren würde. Nach einer Weile wusste er: nichts! Die Leute saßen in den warmen Räumen zusammen, was da draußen im grauen Nebel vor sich ging, interessierte niemand. Er sah sich in der Toilette um, packte die Kappe des Toten und warf sie ebenfalls hinaus. Dann schloss er die Luke wieder und entfernte den Keil von der Tür. Razor wusch sich, so gut er konnte. Trotzdem hielt er sich anschließend nur draußen an Deck auf. Er hatte sich an dem Toten schmutzig gemacht und roch wie ein Stück Scheiße. Razor knöpfte seinen Parka bis oben hin zu, zog die Kapuze über den Kopf und rauchte drei Zigaretten hintereinander.
Wo sie den Kerl finden würden, war ihm völlig egal. Wirklich wichtig war nur, dass niemand diesen Ort und vor allem seine Person damit in Zusammenhang brachte. Er schnippte seine Kippe in das Wasser, wo sie zischend erlosch.
41.
Svetlana klappte die Speisekarte zu und legte sie auf das blütenweiße Tischtuch. Sie befühlte den Stoff. Er war bretthart gestärkt.
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