Der Traum der Hebamme / Roman
lenkte seine Hand mit einer kaum spürbaren Berührung so, dass sie am besten sah. Ihre Finger waren eiskalt, von ihren Gelenken tröpfelte noch etwas Wasser auf seinen Bliaut.
»Nun sprecht ein Gebet und bewegt Euch nicht, bitte!«
Aus dem pulsierenden Schmerz der entzündeten Wunde wurde ein jäh stechender, als sie am Faden zupfte, ihn zerschnitt und herauszog. Doch es musste wohl auch gleich ein Teil des Eiters abgeflossen sein, denn nach dem ersten Schmerz spürte er sofort Erleichterung.
Clara presste ein in kaltes Wasser getränktes Tuch auf die Wunde, was köstliche Linderung brachte.
Dann tauchte sie ein Tuch in das noch schwach dampfende Wasser, wrang es aus, strich es glatt und drückte damit den restlichen Eiter heraus.
»Es wird jetzt brennen, aber gleich sollte es gut sein.«
Sie säuberte die Haut über der Augenbraue von verkrustetem und frischem Blut, tupfte eine Tinktur auf die Wunde.
Es schmerzte, aber bei weitem nicht so wie das Pochen zuvor. Seine Wunde war belanglos im Vergleich zu denen, die andere davongetragen hatten, und das Schlimmste daran die Gefahr, Wundbrand zu bekommen. Doch die schien vorerst gebannt.
Unweigerlich richteten sich nun alle seine Sinne auf die Frau, die so dicht vor ihm stand und die er begehrte wie keine andere in seinem Leben. Er sah, wie sich ihr Leib im Rhythmus ihres Atems sanft hob und senkte, roch ihren Duft, den er auch unter dem strengen Aroma der Tinktur noch wahrnehmen konnte …
Sein ganzes Leben lang hatte er Disziplin und Beherrschung zeigen müssen, stets getan, was sein Stand und seine Herkunft, Ranghöhere und Rangniedere von ihm forderten und erwarteten. Doch jetzt siegte das Gefühl über Vernunft und Disziplin.
Einem unwiderstehlichen Drang folgend, legte er seine Hand über ihre, stand auf, nahm ihr den Verband ab und ließ ihn achtlos auf den Tisch fallen.
Nun leuchtete er mit der Kerze in ihr Gesicht, sah, wie sich ihre dunklen Pupillen durch den Lichtschein verengten und auf ihrem Antlitz plötzlich all die Verletzlichkeit stand, die sie vor der Welt und ganz besonders vor ihm zu verbergen suchte.
Mit der freien Hand zog er sie an sich und küsste sie – so sanft, dass sie nur eine Haaresbreite hätte zurückweichen müssen, um sich ihm zu entziehen.
Als sie das nicht tat, stellte er die Kerze ab, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie erneut, immer noch sanft, aber sehr lange.
Es kostete ihn alle Kraft, sich von ihr zu lösen, doch er musste es tun, musste dies jetzt sagen: »Clara … Meine Liebe … Ich war fest entschlossen, auf dich zu verzichten, um deine Ehre nicht anzutasten. Aber ich kann es nicht … Verzeih mir!«
»Es gibt nichts zu verzeihen«, flüsterte sie, legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.
Noch einmal löste er sich widerstrebend von ihr.
Er wollte ihr Leben nicht noch schwieriger machen. Sein Verstand sagte ihm, dass er sie besser auf der Stelle hinausschicken und mit Norbert vermählen sollte. Oder mit dessen Sohn, falls sie den bevorzugte. Aber er wusste ebenso, dass es kein Zurück mehr gab, sollte sie nicht sofort durch die Tür schreiten.
»Wenn du den Wunsch hast zu gehen … dann geh bitte gleich!«
Clara schüttelte leicht den Kopf und blickte ihn an, liebevoll und tapfer lächelnd.
Da zog er sie an sich und küsste sie voller Leidenschaft. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, während sie seinen Kuss erwiderte, als könnte sie ihm so noch näher sein, und strich durch sein schulterlanges braunes Haar.
Zärtlich glitten seine Hände über ihren Hals hinab. Mit der Linken presste er sie an sich, während er mit der Rechten durch den Stoff des Kleides hindurch ihre Brust liebkoste.
Sie seufzte vor Verlangen, bog sich ihm entgegen und strich mit den Fingern seinen Nacken entlang, direkt an den Wirbeln, so dass sich ihm die feinen Härchen aufstellten.
Am liebsten hätte er sie zum Bett gezogen, ihr die Kleider vom Leib gezerrt und sie sofort genommen. Sie war verheiratet gewesen und hatte ein Kind geboren, sie war keine Jungfrau mehr, er musste nicht befürchten, sie zu verschrecken oder ihr weh zu tun.
Doch er hielt sich zurück, so schwer es ihm auch fiel. Wenn sie schon dieses Opfer brachte und sich ihm hingab, obwohl er sie nicht heiraten konnte, wenn sie ihren Ruf und ihren Seelenfrieden aufs Spiel setzte, dann wollte er es ihr danken, indem sie jeden einzelnen Augenblick genossen.
Er nahm ihr Schapel und Schleier ab, dann öffnete er mit geschickten Händen die
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