Der Traum der Hebamme / Roman
beiden Sergenten, die beschlossen haben, in die Stadt zurückzukehren.«
»Kuno und Bertram?«, fragte Marthe erstaunt. »Und man hat ihnen nichts angetan?«
»Sie wurden bestraft für ihr Verschwinden, aber es geht ihnen gut, soweit ich weiß«, berichtete Dietrich. »Kuno war in großer Sorge um seine Frau und seine Kinder, und er wollte sie nicht nach Einbruch des Winters hierherbringen. Sie hatten die Lage sorgfältig ausgekundschaftet – Ihr werdet besser wissen als ich, mit wessen Hilfe – und waren schlau genug, zuerst zu diesem eifernden Pater Sebastian zu gehen und ihm Reue vorzugaukeln. Nachdem der ihnen vergeben hatte, musste es auch Vogt Heinrich. Angesichts der hohen Verluste in Weißenfels ist er wohl froh über jeden guten Mann, den er in Dienste nehmen kann.«
»Wie steht es sonst in der Stadt?«, wollte Lukas wissen. Doch ein Klopfen unterbrach ihre Unterredung.
Thomas trat ein und wurde von Dietrich aufgefordert, seinen Plan vorzustellen.
»Es ist mir zutiefst zuwider, was in Freiberg vor sich geht, und nicht dagegen vorzugehen«, begann dieser voller Zorn und Ungeduld. »Der Markgraf hat doppelte Abgaben erhoben, die Menschen hungern und schuften sich in den Gruben und an den Scheidebänken fast zu Tode. Wer nicht zahlen kann, den lässt diese Ratte Rutger bis aufs Blut prügeln. Sein erstes Opfer war mit falscher Anschuldigung wieder einmal Christian, der Stallmeister. Und was mich besonders stört: Dieser Kerl macht sich immer noch in unserem Haus breit, während er die Leute schindet. Ich denke, er verdient eine Abreibung und eine Mahnung, sich etwas mehr zusammenzureißen.«
»Wie hast du dir das vorgestellt?«, fragte Lukas sachlich, und Thomas war sehr erleichtert darüber, dass sein Stiefvater seine Worte nicht als Prahlerei oder Leichtsinn abtat, sondern ernst nahm.
Nachdem er den Plan vorgetragen hatte, tauschten Lukas und Marthe einen Blick. Wieder einmal hatte Thomas das Gefühl, dass sie sich wortlos verständigten.
»Ich habe mindestens ebenso viel Lust und Anlass, diesem Kerl eine Lehre zu erteilen«, erklärte Lukas dann. »Deshalb werde ich dich begleiten.«
»Meine Chancen stehen besser, wenn ich allein reite«, wies Thomas das Angebot zurück. Beinahe beleidigt fragte er: »Traut Ihr mir etwa nicht zu, dass ich das allein schaffe? Fürchtet Ihr, ich würde die Beherrschung verlieren, unüberlegt Rache nehmen und damit ein weiteres Blutgericht über Freiberg heraufbeschwören? Leichtsinnig mein Leben wegwerfen?«
Die letzte Frage richtete er an seine Mutter. Er konnte sich durchaus vorstellen, was sie dachte – so wie sie genau wusste, was in ihm vorging.
»Ich denke auch, er sollte allein reiten«, ergriff Dietrich für den jungen Ritter Partei. »Lukas, Ihr seid viel zu bekannt in Freiberg und viel zu sehr gesucht. Euer Stiefsohn hat hingegen die Stadt verlassen, als er ein noch Knabe war.«
»Ich lasse mir unterwegs einen Bart stehen, dann wird mich niemand erkennen«, erklärte Thomas.
»Du bist das leibhaftige Abbild deines Vaters«, hielt Lukas ihm vor, beinahe wütend darüber, dass er nun schon zum dritten Mal hintereinander an Christian erinnert wurde. »Noch dazu auf diesem Hengst!«
»Haltet Ihr mich für so eitel und dumm, dass ich Drago auf diese Reise mitnehmen würde?«, widersprach Thomas beleidigt. »Ich habe mir diese Sache ausgedacht und werde das Wagnis allein tragen. Wenn ich Freiberg lebend erreiche, helfen Peter und die Schmiede mir weiter.«
Plötzlich war der Ton scharf geworden. Nicht einmal Marthes schlichtende Worte konnten etwas dagegen ausrichten. Erst als Clara leise aufstöhnte, den geschwollenen Leib vorstreckte und sich den schmerzenden Rücken rieb, zügelten sich die Streithähne. Ein solcher Streit vor einer Schwangeren konnte wohl kaum gut für die werdende Mutter und das Ungeborene sein.
Lukas räusperte sich, pickte ein paar Schwachpunkte in Thomas’ Plan heraus und unterbreitete Vorschläge. Nach einigem Hin und Her tauschte er erneut einen Blick mit Marthe, stand auf und umarmte seinen Stiefsohn. »Nimm meinen Segen! Möge Gott Seine schützende Hand über dich halten.«
Dann packte er den jungen Mann bei den Armen. »Beim heiligen Georg, ich wünschte, ich könnte mir dir tauschen! Es passt mir nicht, dass wir gar nichts tun können außer ein paar Nadelstichen.«
Wieder stand ihm ein Versprechen vor Augen, das er Marthe in düsterster Zeit gegeben hatte: Albrecht zu töten, wenn es keinen anderen Ausweg gab. Er
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