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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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unterschiedlicher Größe von einer Wand zur anderen über den Holzboden rollten. Wenn der Zug hielt, hörten auch die Fässer zu rumpeln auf, und im Wagen trat göttliche Stille ein.
    In den ersten paar Stunden ihrer Reise schwieg der Volks­-kontrolleur und ertrug das Rumpeln der Fässer, weil er annahm, dass nicht viel Zeit vergehen werde, bis der Verschiedenäugige bemerkte, dass die Fässer nicht befestigt waren. Verblüfft über die Ruhe des Genossen Kurilowez, hielt Dobrynin es dann aber doch nicht aus und bemerkte etwas Entsprechendes zu ihm. Hier blickte auch der Urku-Jemze, den der Lärm anscheinend ebenfalls ermüdete, seinen Chef zustimmend und beifällig an.
    Die kurze und klare Antwort des Verschiedenäugigen aber verdross den Volkskontrolleur. Kurilowez erklärte, das diese Fässer schon seit einem halben Jahr über den Boden rollten, und wie lange sie noch rollen müssten, sei unbekannt, denn diese Fracht gehöre der Regierung, anders gesagt, in den Fässern werde Portwein für die Führer des Landes spazierengefahren.
    „Wozu wird er denn im Zug herumgefahren?“ Der Volkskontrolleur konnte diese Frage nicht zurückhalten.
    „So wird er auf wissenschaftliche Weise gestärkt. Jedes Fass muss mindestens zweitausend Kilometer herumfahren, eher noch mehr. Dann verändert sich der Geschmack des Weins zum Besseren …“
    Da erkannten Dobrynin und der Urku-Jemze, dass sie diesen Lärm den ganzen Weg über würden aushalten müssen, und die Erkenntnis betrübte sie.
    Nach ein, zwei Tagen hatten sie sich jedoch daran gewöhnt und achteten bald überhaupt nicht mehr auf die Bewegung der Fässer.
    Manchmal hielt der Zug an, meistens zur Mittagszeit, wenn der Verschiedenäugige sich auf dem chemischen Öfchen meisterlich als Koch betätigte und heiße Suppen aus Wasser, grauem Mehl und getrocknetem Fisch zubereitete. In solchen Momenten kam zum Essen auch der Lokführer, Kurilowez’ Jahrgangskamerad und alter Genosse. Der Lokführer hieß Wasja Murowannyj. Er stammte aus demselben Dorf wie der Verschiedenäugige, und besonders gefiel Dobrynin, dass ihr Dorf Murowannyje Kurilowzy hieß und man unter seinen Bewohnern nur zwei Nachnamen antraf: entweder Murowannyj oder eben Kurilowez.
    Beim Essen versammelt erzählten sie alle gern, vertrauten einander ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart an. Nach etwa zwei Wochen stellte sich heraus, dass sie nichts mehr hatten, worüber sie reden konnten, und da schlug Dobrynin vor, statt zu reden, vor dem Essen jeweils eine Erzählung aus dem Buch zu lesen, das Genosse Twerin ihm geschenkt hatte. Der Lokführer und der Verschiedenäugige waren einverstanden, ganz zu schweigen von dem Urku-Jemzen, der einige Geschichten auswendig kannte.
    Damit alles seine Richtigkeit hatte, begann Dobrynin das Buch abermals ganz von Anfang an zu lesen. So geschah es: jeden Tag eine Geschichte, dann Mittagessen, und dann wieder das Tuten der Lokomotive, das Knirschen der eisernen Räder und das Rumpeln der auf dem Boden hin und her rollenden Fässer, das allmählich die mechanischen Geräusche des Zuges übertönte.
    Einmal während des täglichen Mittagessens – an diesem Tag hatte Dobrynin vor dem Essen allen die Erzählung „Der Ofensetzer“ vorgelesen – stellte der Verschiedenäugige, nachdem er ein paar listige Blicke mit Lokführer Murowannyj gewechselt hatte, Dobrynin einige Fragen über die Arbeit eines Volkskontrolleurs und schlug ihm dann unerwartet vor, eine Kontrolle des Portwein-Rollens durchzuführen. Zunächst geriet Dobrynin in Verlegenheit, immerhin handelte es sich doch um Wein für die Führer ihres Landes. Aber da erklärte der Verschiedenäugige, dass sie nur mittels einer Überprüfung feststellen könnten, ob der Wein nun genug gerollt sei oder nicht, und sollte er bereits ausgerollt haben, dann könnten sie gleich direkt und ohne alle weiteren Umwege nach Moskau fahren.
    „Du bist doch dazu berechtigt!“, legte Kurilowez ihm am Tisch dar. „In deiner Vollmacht steht doch geschrieben: alles überprüfen und kontrollieren! Richtig?“
    „Nun ja“, stimmte der Volkskontrolleur zu, nachdem er ein wenig nachgedacht hatte. „Aber dazu müssen wir doch die Fässer öffnen?“
    „Nur eines, das allerkleinste“, sagte Kurilowez. „Das da, auf dem ‚Marschall Luganskij‘ steht.“
    „Ist das denn etwa sein Fass?“, fragte Dobrynin erschrocken.
    „Naja, irgendwie ist es seines, aber er ist doch ein schwerkranker Mann … bis wir hinkommen, haben sie ihn doch

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