Der Unwillige Braeutigam
umarmte ihre zierliche Mutter fest, plötzlich elend vor Heimweh; sie sehnte sich so nach der herzlichen, liebevollen Sicherheit ihrer Familie. Aber sie weigerte sich, in Tränen auszubrechen – und besonders vor dem Viscount.
Ihre Mutter schob sie auf Armeslänge von sich. „Bist du überrascht?“
„Mama, was tust du hier? Was ist mit dem Haus?“
„Ich habe letzte Woche keinen Brief von dir bekommen. Du weißt doch, wie sehr ich mich um dich sorge.“
„Aber ich habe ihn abgeschickt.“ Ihre Mutter würde jede Ausrede benutzen, um nach London zu kommen. Auf der anderen Seite hatte das neue Anwesen der Familie dringend renoviert werden müssen. Und ihre Mutter traute niemandem, die Aufsicht zu führen – Elizabeths Vater und ihre jüngere Schwester Rebecca eingeschlossen.
„Ich habe allerdings einen Brief von Teresa erhalten.“
Mrs. Abernathy. Elizabeth unterdrückte ein Stöhnen. Das erklärte alles.
Erst jetzt wandte ihre Mutter ihre Aufmerksamkeit Derek zu. Er war nicht gegangen, sondern stand stumm hinter ihnen, verfolgte ihre Begrüßung.
„Wer ist der junge Herr hier, Lizzie?“ Das Lächeln ihrer Mutter hieß den Viscount willkommen. Es lag auf der Hand, dass sie ihn nicht wiedererkannte.
Ein unbehagliches Schweigen folgte. Das Lächeln ihrer Mutter verblasste, während ihr Blick zwischen ihnen hin und her flog. Zwei Falten erschienen auf ihrer Stirn.
„Mama, das hier ist Lord Creswell.“
Ein scharfer Blick richtete sich auf den Viscount. Verstehen breitete sich auf dem Gesicht ihrer Mutter aus. Sie machte einen Schritt nach hinten und musterte Elizabeth.
Elizabeth war sich sogleich unangenehm ihres unter dem Mantel nur halb geschlossenen Kleides und ihrer unordentlichen Haare unter ihrem Hut bewusst.
„Dann scheinen der Viscount und ich wohl doch bereits miteinander bekannt zu sein.“ Die Stimme ihrer Mutter war eisig.
Derek bestätigte die Erklärung mit einem knappen Nicken.
„Elizabeth, bitte leg deinen Mantel und den Hut ab und lass uns alle in den Salon gehen, damit wir uns ungestört unterhalten können. Wenn Lord Creswell keine Einwände hat“, fügte ihre Mutter noch hinzu.
Es war ausgeschlossen, Umhang oder Hut abzulegen. Und sie war sich ziemlich sicher, dass ihre scharfsichtige Mutter das genau wusste.
„Mrs. Smi… – Lady Bartlett, ich würde es vorziehen, unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen.“
Vor Erleichterung wurde Elizabeth beinahe schwindelig. Ehe ihre Mutter zu einer Antwort ansetzen konnte, drehte sich Elizabeth um und lief rasch die Treppe hoch, geradewegs in die Ungestörtheit ihres Schlafzimmers.
Lady Bartlett war noch genauso, wie Derek sich an sie erinnerte. Eine zierliche Dame, die sich mit königlicher Anmut bewegte, was die Vermutung nahe legte, dass sie weder von dem arbeitenden Teil der Bevölkerung noch vom Landadel abstammte. Vor sechs Jahren hatte er schlicht gedacht, sie spiele sich auf. Dessen war er sich jetzt nicht mehr so sicher.
Als sie den Salon betraten, entließ sie das Hausmädchen, das hier gerade Staub wischte. Sie nahm auf dem Sofa Platz und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich zu setzen.
Derek gehorchte, war darauf gefasst, mit Vorwürfen überhäuft zu werden, dass er ihre Tochter kompromittiert habe, und der Forderung, sie unverzüglich zu heiraten. Sechs Jahre später waren die Spieler andere, aber das Szenario war unverändert.
„Lord Creswell, haben Sie meine Tochter kompromittiert?“, erkundigte sie sich ganz höflich.
Derek war von der Frage überrascht, so geradeheraus und ohne Umschweife, ohne die hysterischen Anfälle, die die Anklage begleitet hatten, als sie sie gegen seinen Bruder vorgebracht hatte. „Ist das nicht eher eine Frage, die Sie Ihrer Tochter stellen sollten, Mylady?“
„Ich frage lieber direkt Sie. Lizzie hat ein weiches Herz, sodass sie mir vielleicht nicht die Wahrheit erzählt.“
Wie es schien hatten die Töchter Lug und Trug von ihrer Mutter gelernt. Sie tat gerade so, als hätten sie – als hätte die ganze Familie – nicht alles von Beginn an bis ins letzte Detail geplant.
„Ihre Tochter ist jetzt nicht schlimmer dran als vorher, als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin.“
Sie setzte sich aufrechter hin, und ihre Augen wurden schmal. Sie verzog verärgert den Mund. „Ich möchte, dass Sie sich von meiner Tochter fernhalten“, erklärte sie knapp.
Halten Sie sich von meiner Tochter fern.
Das hätte ihn erleichtern müssen, denn es klang alles sehr gut. Sekunden
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