Der Vampir, den ich liebte
führte
mich in Versuchung, machte mich süchtig nach mehr. Das Bild von ihm, wie er den
Reißverschluss meines Kleides hochgezogen hatte, selbstsicher und wissend,
blitzte in meinem Gehirn auf. Erfahren ... Mom hatte mich gewarnt. Stürz
dich nicht gleich kopfüber hinein, Jess...
Lucius ließ
die Hand meinen Hals hinaufwandern und umkreiste mit den Fingern meinen Nacken,
während er mit dem Daumen die Kuhle an meiner Kehle streichelte. »Erlaub mir,
dich zu küssen, Antanasia ... dich wirklich zu küssen ... wie du es
verdienst.«
»Bitte,
Lucius ...« Bettelte oder protestierte ich?
»Du gehörst
zu mir«, sagte er leise. »Zu unseresgleichen ... du weißt, dass es so
ist ... hör auf, dich dagegen zu wehren ... hör auf, dich gegen mich zu
wehren ...«
Nein!
Ich musste
es laut gerufen haben, denn Lucius zog sich abrupt zurück. »Nein?« Seine Stimme
war ungläubig, seine Augen erfüllt von Schrecken und Unsicherheit.
Mein Mund
bewegte sich, aber es kam kein Laut heraus. Ja? Nein? »Ich habe gerade
... ich habe gerade Jake geküsst«, stotterte ich schließlich. »Vor wenigen
Minuten.« War es nicht falsch, an ein und demselben Abend mit zwei Typen
rumzumachen? War das nicht irgendwie ... nuttig? Was zur
Hölle machte dieses Kleid mit mir? Und was er da gerade über »unseresgleichen« gesagt hatte ...
Nein.
Lucius riss
die Hand von meinem Hals zurück und krümmte sich auf den Stufen zusammen. Mit
einem Laut, der halb Stöhnen, halb Knurren war, fuhr er sich durch das lange
schwarze Haar.
»Lucius, es
tut mir leid ...«
»Sag das
nicht.«
»Aber es
tut mir wirklich leid ...« Es stimmte, auch wenn ich nicht recht wusste, was
mir eigentlich leidtat. Dass ich Jake geküsst hatte? Dass ich um ein Haar
Lucius geküsst hätte? Dass ich diesen Kuss gestoppt hatte?
»Geh ins
Haus, Jessica.« Lucius saß immer noch vornübergebeugt da, die Finger im Haar
vergraben. »Sofort. Bitte.«
In diesem
Moment wurde die Haustür geöffnet. »Ich dachte, ich hätte hier draußen Stimmen
gehört«, sagte Dad und tat so, als bemerke er die Spannung zwischen Lucius und
mir nicht.
»Dad«,
quiekte ich und sprang auf. »Ich bin gerade nach Hause gekommen. Lucius und ich
haben uns nur noch ein bisschen unterhalten.«
»Es ist
schon spät«, sagte Dad und zog mich an seine Seite. »Und Lucius, ich denke,
man kann wohl mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass jetzt keine Kinder mehr
kommen, die Süßigkeiten wollen. Du solltest auch zu Bett gehen.«
»Natürlich,
Sir.« Lucius streckte langsam die Glieder und erhob sich ebenfalls. Er wirkte
erschöpft, als er meinem Dad die Schale gab. »Ein schönes Halloween wünsche ich
Ihnen allen.«
»Ja, gute
Nacht«, sagte ich. Dann stürmte ich ins Haus, lief die Treppe hinauf, riss mir
das Kleid vom Leib und warf es in den
hintersten Teil meines Schranks. Ich zerrte an meinem Haar, bis es mir wieder
über die Schultern fiel. Bis alles wieder an seinem Platz und normal war.
Nachdem ich zum Schlafen ein T-Shirt und eine Jogginghose angezogen hatte,
stahl ich mich ans Fenster und schaute zur Garage hinüber. Aber bei Lucius
brannte kein Licht mehr. Er war ins Bett gegangen. Oder vielleicht war er auch
noch draußen in der Dunkelheit unterwegs.
Mom klopfte
an meine Tür. »Jessica? Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht
es gut, Mom«, log ich.
»Willst du
reden?«
»Nein.« Ich
starrte weiter auf Lucius' Fenster, nicht sicher, wonach ich Ausschau hielt.
»Ich will einfach schlafen.«
»Also dann
... Gute Nacht, Schätzchen.«
Moms
Schritte verklangen im Flur und ich legte mich ins Bett und schloss fest die
Augen. Ich würde mich nicht – ganz bestimmt nicht – fragen, was Lucius in die
Dunkelheit hineingezogen haben mochte. Angesichts der Stimmung, in der ich
ihn verlassen hatte, fürchtete ich ehrlich, es könnte etwas sein, das alles
andere als »nett« war.
Kapitel 21
Lieber Vasile,
was für
ein Durcheinander hier. Was für ein Durcheinander. Dies wäre so viel leichter
zu übermitteln, wenn du es einfach
mal mit E-Mail versuchen würdest. Heutzutage hat man überall Zugang. Bitte,
überdenke es noch einmal, nur für die Dauer meines Aufenthaltes hier.
Bis
dahin habe ich die schwierige Aufgabe, dich per Post darüber in Kenntnis zu
setzen, dass der ganze Pakt endgültig und unwiderruflich zum Scheitern
verurteilt zu sein scheint.
Heute
Abend ... wo soll ich beginnen? Was soll ich sagen?
Wenn das nicht der richtige Zeitpunkt
war, dann weiß ich nicht, was ich sonst noch
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