Der Vampir, den ich liebte
»Dann würdest
du mich schlagen, bis ich mich ergebe? Na klar. In deinen Träumen.«
Ja.
Manchmal in letzter Zeit. In meinen Träumen. Ich meine, ich hatte nicht davon geträumt, ihn zu
verprügeln, aber in letzter Zeit war Lucius ziemlich oft in meinen Träumen
aufgetreten. Bei hochzeiten. In dunklen Höhlen. Bei flackerndem Kerzenlicht.
Er ließ
mich los und wurde wieder ernst. »Jessica, ich habe in den letzten Tagen so
viele Schmerzmittel zu mir genommen. Und ich kann eurem Arzt, Dr. Zsoldos, gar
nicht genug dafür danken. Warum sollte man leiden, wenn man es nicht muss?«
»Komm zum
Punkt.«
»Oh, ja.
Also, ich habe mich nie richtig bei dir bedankt.« Er richtete sich noch ein
wenig höher auf und zuckte zusammen, weil seinen Rippen diese Bewegung gar
nicht gefiel. »Dafür, dass du Hell's Belle eingefangen hast und bei mir
geblieben bist. Du warst sehr mutig.«
Ich
verlagerte mein Gewicht und versuchte, nicht gegen sein Bein zu stoßen. »Es tut
mir leid, dass sie eingeschläfert wurde.«
Lucius
schaute traurig aus dem Fenster. »Du hast dein Bestes getan. Aber manche
Geschöpfe sind einfach zu gefährlich, um zu leben, nehme ich an.«
»Du hast
versucht, sie zu zähmen«, unternahm ich einen schwachen Versuch, ihn zu
trösten. »Für eine Weile hat es funktioniert.«
»Es lag
nicht in ihrer Natur, gezähmt zu werden. Am Ende bleiben wir alle unserer
Natur treu. Unserer Erziehung.«
Eine
Sekunde lang saßen wir einfach nur schweigend da und ich fragte mich, woran
Lucius wohl gerade dachte. An das Pferd – oder an sich selbst?
»Meinen
Glückwunsch zum zweiten Platz«, sagte er endlich.
Ich folgte
seinem Blick zu meiner Pinnwand, wo ich die rote Schleife aufgehängt hatte,
neben etlichen blauen, die ich bei Mathewettbewerben schon gewonnen hatte.
Natürlich war die blaue Schleife an Faith Crosse gegangen; meine Leistung war
gut gewesen, aber nicht gut genug. »Du hättest die blaue verdient«, sagte ich
zu Lucius und meinte es absolut ernst.
»Tja, Pech
gehabt, denn leider wurde ich überraschenderweise auf Lebenszeit vom
4-H-Turnier ausgeschlossen«, bemerkte er trocken. »Sie haben extra eine ganz
neue Regel geschaffen. Nur für mich. Das ›Verbot gegen das wissentliche
Mitbringen eines bösartigen Tieres zu einem öffentlichen Ereignis‹. Ich war
der Erste, der gegen das Verbot verstoßen hat, rückwirkend. Ein Pionier in
Sachen Gesetzlosigkeit. Sozusagen.« Er lachte, hustete heftig und hielt sich
die Rippen. »Verdammt.«
»Alles
okay?«
»Ja, ich
bringe mich nur irgendwann noch mal um.« Er lächelte. »Buchstäblich.«
Ich spielte
mit dem iPod herum. »Lucius?«
»Ja,
Jessica?«
Ich sah
direkt in seine schwarzen Augen. »Ich war da. In dieser Nacht.«
»Ich weiß.«
»Wirklich?«
»Du bist
spät in der Nacht zu mir gekommen. Hast meine Hand gehalten.«
Verlegen
setzte ich das Studium meines iPods fort. »Oh ... ich dachte, du hättest
geschlafen.«
»Zappel
nicht herum, während du dich unterhältst.« Lucius zog mir den MP3-Player aus
den Fingern. »Natürlich wusste ich, dass du da warst. Ich habe einen leichten
Schlaf. Vor allem wenn jeder Zoll meines Körpers von unsäglichen Schmerzen
gemartert wird.«
»Tut mir
leid.« Ich lächelte schwach. »Ich wollte dich nicht stören.«
»Nein ...
im Gegenteil, ich war ziemlich gerührt«, erwiderte Lucius. Sein Blick wurde
weicher, der herrische Ausdruck verschwand aus seinen Augen. »Du hast um mich
geweint. Niemand hat je zuvor geweint, weil er mich hat leiden sehen. Diese
Freundlichkeit werde ich nicht vergessen, Jessica.«
»Ich habe
mich in dem Augenblick einfach so gefühlt. Ich konnte nicht anders.«
»Nein,
natürlich nicht.« Das Eingeständnis schien ihn irgendwie zu quälen. »Trotzdem,
wenn ich nach Rumänien in mein altes Leben zurückkehre, wird niemand weinen,
weil er Lucius Vladescu gebrochen sieht. Und sollte ich dort wieder leiden – was unvermeidlich ist –, werde ich mich immer mit Zuneigung und Dankbarkeit an
deine Geste erinnern.«
»Ich werde
diese Nacht auch nicht vergessen«, sagte ich und wischte mir die feuchten
Handflächen an den Beinen ab. »Lucius ... ich habe gesehen, wie du das Blut
getrunken hast.«
»Ahh, das
Blut.« Mein Geständnis schien ihn nicht zu überraschen.
»Ich hoffe, das hat dich nicht allzu sehr mitgenommen. Du warst nicht allzu angewidert. Ich denke nicht, dass du schon bereit warst, das zu
sehen. Für jemanden, der nicht daran gewöhnt ist, kann es ziemlich abstoßend
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