Der Vampir, den ich liebte
bitten soll.«
Mit dieser
Entschuldigung verletzte er mich nur noch tiefer. Mir nah zu sein, war
»verwerflich«? »Unverzeihlich«? Er konnte sich nicht vorstellen, »was über ihn
gekommen war«, dass er sich zu einem abscheulichen Wesen wie mir hingezogen
gefühlt hatte? Vor allem weil es seine ach so geliebte Faith Crosse hätte
aufregen können?
Lucius
seufzte. Offenbar hatte er mein Schweigen richtig interpretiert. »Du verachtest
mich noch mehr als sonst, nicht wahr?«
»Ja.«
»Du bist
gegangen. Ich nehme an, Jake war etwas aufgebracht.«
»Wir werden
es überleben.«
Mein
schneidender Tonfall schien ihn zu überraschen. »Ja. Das werden wir wohl.« Er
wartete ab. »Ich dachte, du hättest mehr zu sagen.«
»Was soll
ich denn sagen, Lucius?« Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihm die kalte Schulter
zu zeigen, doch dann sprudelte auf einmal alles aus mir heraus. »Du tauchst auf
meiner Türschwelle auf, stellst mir monatelang nach, und als du mich endlich
davon überzeugt hast, etwas Besonderes zu sein – als ich endlich etwas für
dich empfinde –, machst du eine komplette Kehrtwendung und verknallst dich in
die Allerweltsblondine, auf die alle Jungen stehen. Das ist so was von typisch
Mann –«
»Du
empfindest wirklich etwas für mich, oder?« Seine Stimme war bittersüß. Mehr
bitter als süß.
»Ich habe
etwas empfunden, Lucius. Vergangenheit. Es war nur für einen Moment«, sagte
ich. Ich war nicht länger wütend, nur noch resigniert und traurig. »Es kommt
mir jetzt wie ein böser Traum vor. Ein ›Fehler‹, wie du es nennen
würdest. Ein schrecklicher Fehler.«
Lucius rieb
sich die müden Augen. »Oh, Jessica ... glaub ja nicht, du wüsstest die ganze
Wahrheit hinter dem, was ich sage oder tue«, erwiderte er kryptisch. »Manchmal
. . . manchmal weiß ich es nicht einmal selbst. Wenn ich widersprüchlich
erscheine, liegt es nur daran, dass ich mit mir selbst kämpfe.«
Er beugte
sich vor und rang die Hände. »Verdammt, ich habe alles vermasselt.«
»Ja. Das
hast du wohl.«
Er sah mich
traurig an. »Du wirst niemals verstehen, wie es ist, vom Normalen verführt zu
werden.«
Ich hätte
beinahe geschnaubt. »Du? Normal?«
»Ja. Ich.
Normal.«
»Das war
dir doch immer scheißegal.«
»Nein,
Jessica. Das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Nicht in letzter Zeit.« Lucius
stand auf und ging in meinem kleinen Zimmer auf und ab, während er leise
redete, beinahe als spräche er mit sich selbst. »Du hast ja keine Ahnung, wie
es war, in solcher Abgeschiedenheit großgezogen zu werden. Zu einem bestimmten
Zweck erzogen zu werden. Deine Eltern, Jessica, haben keinen Plan für
dich. Du bist nicht ihr Werkzeug. Du bist einfach nur da, um von ihnen geliebt
zu werden. Weißt du, wie fremd mir das ist?«
Ich sah ihm
zu, wie er durch mein Zimmer tigerte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Und unterbrechen wolle ich ihn auch nicht.
Er hielt
inne und lächelte traurig. »Ich bin hierhergekommen und plötzlich war da eine
ganz neue Welt. Unsere Klassenkameraden. Sie können so ... verspielt sein.«
»Du
hasst Verspieltheit.«
»Aber
Verspieltheit ist so einfach.« Das Lächeln verschwand. »Früher dachte ich
immer, amerikanische Teenager seien so lächerlich selbstbezogen. Aber es macht
süchtig, anders kann ich es nicht ausdrücken. Ich fühle mich von deiner Welt
angezogen und sei es nur für eine kurze Zeit. Es ist wie ein kurzer Urlaub. Der
erste Urlaub meines Lebens. Abgesehen von dem Druck, den Pakt zu besiegeln,
stellt niemand Erwartungen an mich, außer vielleicht, dass ich kurz vor dem
Spielende noch einen Dreipunktewurf erziele.«
»Lucius,
worauf willst du hinaus?«
Er ließ
sich wieder aufs Bett sinken. »Ich stelle fest, dass es mir widerstrebt, das
alles jetzt schon aufzugeben.«
»Was alles aufzugeben?«
»Die
Schulbälle mit der billigen Krepppapierdeko. Jeans. Basketball. Mit einer
jungen Frau zusammen zu sein, ohne dass das Gewicht von Generationen auf meinen
Schultern lastet ...«
»Faith. Du
willst Faith nicht aufgeben.«
Er wich
zurück. »Für ein Mädchen, das all meine Versuche, sie zu umwerben, abgeblockt
hast, bist du plötzlich ziemlich besitzergreifend.«
»Verdammt
noch mal, du bist derjenige, der ständig davon geredet hat, wie wichtig es
ist, dass wir heiraten.«
Lucius fuhr
sich mit den Fingern durch das ebenholzschwarze Haar. »Wenn ich dich heute
Abend gebissen hätte ... dann hätte es kein Zurück gegeben. Das weißt du doch,
oder? Ewigkeit. Das ist
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