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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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in der ich lebte. Und wollte auch nicht mehr in ihr leben.
    Sic semper tyrannis.
    Aber wer ist der wahre Tyrann, wenn nicht der mit der Waffe?

 
     
    Daniel blieb vier Monate in Iowa. Das Wetter wurde warm, dann nass, dann ungebärdig. Hagel fiel vom Himmel, Wirbelstürme zogen heran und zerstörten Häuser und Leben. An manchen Tagen war es so heiß, dass die Mexikaner Futtertröge mit Wasser füllten und sich gegenseitig hineinwarfen. Danny stellte fest, dass es Spaß machte, mit dem Fahrrad durch den Regen zu fahren. Es gefiel ihm zuzusehen, wie sich die schweren Wolken zusammenballten, zu spüren, wie die Luft sich auflud. Die gefahrvolle Atmosphäre hatte etwas Verlockendes. Sich ihr auszusetzen, war der Reiz eines atemlosen, verrückten Unterfangens.
    Am 16. Juli sah er zum ersten Mal eine Trichterwolke. Gottes böser Finger langte vom Himmel herab und rührte den amerikanischen Ameisenhaufen auf. Daniel fuhr gerade mit dem Rad nach Norden in Richtung Cedar Rapids, am westlichen Horizont türmten sich bedrohliche Gewitterwolken. Seit einer Stunde wurde der Wind immer stärker, aus der stetigen Brise waren energische Böen geworden, die an seinem Haar und seinen Kleidern zerrten. Der Regen peitschte horizontal. An einer Kreuzung bockte sein Rad, kippte, und er landete im Graben. Nasser Matsch durchtränkte seine Hose und drang ihm in die Schuhe. Eine Moment lang lag er da und vergewisserte sich, dass er sich nichts gebrochen hatte. Die mächtigen schwarzen Wolken in der Ferne legten sich über die Ebene und gebaren jenen wirbelnden Todesfinger. Der Sturm heulte in seinen Ohren. Er war ein Vorstadtkind. Was wusste er schon von der animalischen Kraft des Wetters?
    Er verfolgte, wie aus der Trichterwolke ein Tornado wurde, der ein paar Meilen nördlich über das Farmland raste und Autos und Häuser verschluckte. Es war ein hässlicher schwarzer Keil. Er stellte sich vor, wie Kühe in die Luft gehoben wurden und über der Erde herumwirbelten wie Spinnen in einem Klobecken.
    Er kämpfte sich auf die Knie, dann auf die Füße und rannte los. Die Erde ließ ein Stöhnen hören. Er sah sich um. Der wirbelnde schwarze Arm des Tornados verwüstete den Boden. Was machte er hier draußen? Ein Risiko einzugehen, war eine Sache, aber das hier war der blanke Wahnsinn. Der Sturm brüllte so laut, als landeten und starteten überall um ihn herum Flugzeuge. Er musste an eine andere Situation denken, in der er sich dem Tod ähnlich nahe gefühlt hatte. Da war er acht gewesen und hatte in einem Flugzeug gesessen, mit dem Gefühl, dass alles viel zu schnell ging, als dass er etwas hätte tun können. Er fand eine verfallene alte Mauer aus schweren, groben Steinen und verkroch sich dahinter. Er wusste, die Mauer würde ihn nicht vor dem Tornado schützen können, aber sonst konnte er nirgends hin. Der Regen hatte ihn völlig durchnässt, Hagelkörner in Baseballgröße trommelten auf seine Schultern und seinen Rücken ein. Es war schwer, sich in dieser Lage nicht gehasst zu fühlen, als ob Himmel und Erde, als ob die ganze Welt ihn in diesem Moment tatsächlich hasste.
    Er erinnerte sich daran, wie er eines Abends mitten im Schneesturm auf einer hochgelegenen Station der New Yorker Subway auf einen Zug gewartet hatte. Da war er fünfzehn gewesen und lebte bei seinem Vater. Aus Langeweile hatte er an jenem Tag die Schule geschwänzt und die Stadt erkundet. Der Wind ging scharf und kalt, und der Schnee blies waagrecht, stumm und hungrig auf ihn ein. Die Dunkelheit hing wie ein Schatten unter jeder einzelnen Flocke, und in dem vom Schnee gedämpften Lichtschein der Neonröhren über ihm hatte er das Gefühl, dass er derjenige war, der sich bewegte, mitten hinein in dieses kleinteilige Muster aus Schnee, das starr in der Luft hing. So sah Schnee auch aus, wenn man mit dem Auto fuhr, wenn die schweren nassen Flocken ins gleißende Licht der Scheinwerfer trieben und auf die Windschutzscheibe trafen.
    Jetzt hatte er die Augen geschlossen. Die Flugzeuge starteten und landeten, Güterzüge dröhnten so nahe an ihm vorbei, dass er sie hätte berühren können. Ihm wurde bewusst, dass er schrie. Es war ein langer, kehliger Klageton, der tief aus seinem tierischen Innern aufstieg. Zu beten kam ihm nicht in den Sinn.
    Als er die Augen wieder öffnete, war der Wirbelsturm verschwunden. Der Wind hatte nachgelassen, die Wolken lösten sich auf, und es war, als habe die Wut eines randalierenden Mobs plötzlich nachgelassen. Keuchend lag Daniel im

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