Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Recht und Ordnung zurückzuführen.
»Ein Schurke, der Gerechtigkeit braucht …«
»Hör zu«, sagte sie. »Die Klingen entscheiden nicht darüber. Sie handeln nur. Du magst nicht wissen, ob ein Mann ein Schurke ist, oder warum. Du siehst vielleicht nur einen lächelnden Vater im Kerzenlicht mit seinem Kind in den Armen und denkst: Das alles habe ich verloren. Wie kann ich ihn seinem Kind wegnehmen? Die Lilienklingen tragen diese Verantwortung vor den Gerichten Kalimpuras aus einem Grund. Männer sind nicht in der Lage, jemandem ihr Herz zu überlassen, wie Frauen das können. Wenn du diesen Weg gehst, wirst du die Hand der Göttin sein und dein Herz wird Ihr gehören.«
Bei diesen Worten spürte ich einen Luftzug um mich. Meine Haare bewegten sich, als strichen Finger über meinen Kopf. Worte am Rande meiner Wahrnehmung mochten Erlösung versprochen haben oder Verdammnis oder auch etwas ganz anderes.
Ihre Erwähnung des Kindes wies mir eine Möglichkeit. Ich hatte kindliche Schwüre geleistet, dafür zu sorgen, dass kleine Kinder wie ich nicht aus ihren Familien gerissen wurden. Doch jetzt lebte ich in einer Stadt, in der die Hälfte der Kinder auf den Straßen jemandem gehörte. Sie waren nicht mehr als Kulis und Sklaven. Mein eigenes Volk fand nichts dabei, ein Kind zu verkaufen; aus der Not heraus oder einfach weil es ein Geschäft war.
Göttin, betete ich in meinen Gedanken. Ich bin keine Tochter eines Hauses. Auch nicht des Deinen. Dennoch werde ich Deinem Pfad eine Weile folgen, solange es auch meiner ist. Ich möchte denjenigen den Kampf ansagen, welche die Jüngsten als Spielzeug und Lasttier missbrauchen. Wenn das Deine Gerechtigkeit ist, dann lass sie auch meine sein.
Der Wind hörte auf. Ich erhielt keine Antwort. Mein Zorn war verraucht, was eine Antwort sein mochte. Mutter Vistha sah mich erwartungsvoll an.
»Ich wähle diesen Pfad«, sagte ich pflichtbewusst.
Sie nickte. Wir kletterten über die dekorative Brüstung, um in die Gasse hinunterzusteigen. Ich hatte bis zu diesem Augenblick nicht bemerkt, dass meine Fäuste geballt waren. Als ich sie öffnete, fiel aus jeder eine zerdrückte Lilienknospe auf die Ziegel des Lagerhausdaches hinab.
Mutter Vistha war schon vorausgeklettert und sah die Sendung der Göttin nicht mehr. Ich behielt es für mich, und mein Herz war von einer sonderbaren Freude erfüllt. Auch Mutter Vajpai gegenüber ließ ich die Sache mit den Knospen unerwähnt.
Ein ganzes Jahr lang erhielt ich keine Zeichen von der Göttin mehr, aber ich wusste, dass Sie da war, auf dieselbe Weile, wie ich wissen mochte, dass mein Arm verletzt war, auch wenn ich gerade keinen Schmerz empfand. Ich war fleißig dabei, in den Petalen der Klingen zu trainieren, sodass ich mit Samma gleichauf oder ihr voraus war, was aufgrund meines Alters gerechtfertigt war. Unsere nächtlichen Abenteuer reiften mit unseren Körpern, und Jappa nahm uns beide eine Weile mit in ihr Bett, um uns zu zeigen, was sie schon wusste. Wir stritten auch, und ich lernte, dass Mädchen das tun. Der Mond beeinflusste jede auf andere Weise, und die Göttin inspirierte das Herz einer jeden von uns auf unsere eigene Weise.
Sich zu vertragen konnte ja so süß sein.
In der Tempelküche unterwies ich alle, die es wollten, in der Kochkunst des Nordens. Eine Weile wurde davon geredet, eine Bäckerei für Brot und Konfekt zu eröffnen, aber daraus wurde dann doch nichts. Ich übte den Waffengebrauch und aggressiv zu sein. Ich tötete Hunde, um praktische Erfahrung im Durchbohren eines Körpers zu sammeln. Ich lernte den Umgang mit Bogen, Armbrust und Speerschleuder und wurde dabei zu einer wesentlich größeren Gefahr für die anderen als für mich selbst. Nach dem Vorbild der vereidigten Klingen hatte ich mein Jagdmesser außerhalb des Schlafraumes immer dabei. Während meiner freien Stunden beobachtete ich die Kinder der Stadt und versuchte herauszufinden, wie das System von Abhängigkeit und Verleih und Verkauf funktionierte. Menschenhandel war so vielfältig wie die Praktiken der Gerichte und Gilden und Kasten selbst. Ich bezweifelte, dass ich Kalimpura je wirklich durchschauen würde. Ich begann, lange Listen nach dem Vorbild der Heraldik von Copper Downs zu führen, um eine Übersicht zu bekommen. Mutter Vajpai fand meine Besessenheit mit der Obrigkeit sehr amüsant.
»Es ist der Einfluss der Steinküste in deinem Blut«, sagte sie mir eines Tages in der Tempelbibliothek, als ich an einem großen Stück fein gegerbter
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