Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
das Gewand zurück auf das Bett. Dann wandte er sich wieder zu mir um. »Und nun bist du Metropolit von Athen und regierst als Exarchos von Griechenland und Stellvertreter des Patriarchen eine Kirchenprovinz, die sehr viel größer ist als das Despotat von Thessaloniki.«
»Meine Macht, meine Ehrentitel, die demütigen Kniefälle und ehrfurchtsvollen Handküsse bedeuten mir nichts. Ich hasse das Zeremoniell, das man um mich veranstaltet. Es ist mir unerträglich. Denn es erinnert mich zu sehr an die Rituale kaiserlicher Macht, unter denen ich als Kind gelitten habe! Ich will keine verehrte Ikone sein, kein Ideal engelsgleicher Vollkommenheit, kein lebendiges Abbild Jesu Christi und Gottes Stellvertreter auf Erden. Ich bin ein Mensch!
All jene, die den Segen Seiner Seligkeit des Metropoliten Niketas IV. Evangelos erbitten, wissen nicht, wer Niketas ist, was er empfindet, woran er glaubt und wie sehr er unter der Last seines Amtes leidet. Alessandra hat mir dieses schwere Gewand aus Goldbrokat vom Leib gerissen, um zu sehen, wer sich darunter verbirgt. Ein Mensch, nackt und frierend vor Einsamkeit. Unvollkommen, fehlbar und schwach. Aber sie fand diesen Menschen liebenswert.«
»Sie hat sich in den begehrenswerten byzantinischen Prinzen verliebt, dem in Konstantinopolis selbst die Basilissa zu Füßen liegt. Alessandra hat dich verführt!«
»Sie hat mich zum Leben und zum Lieben verführt, weil ich mich verführen lassen wollte. Denn ich bin ein Mensch, Basilios, ein Mensch, der sich nach Geborgenheit und Liebe sehnt. Nach Zärtlichkeit. Nach Leidenschaft. Nach Glückseligkeit im Akt der sexuellen Liebe. Der nur noch er selbst sein will - kein Prinz, kein König, kein Priester, kein Mönch. Glaubst du, dass Gott mir am Ende meines Lebens diese Gnade gewährt?«
Basilios schüttelte traurig den Kopf. »Du hast dich verändert, Niketas. Alles, was dir früher wichtig war, hast du aufgegeben. Du hast ihr deine Unschuld geopfert, die Reinheit deines Herzens und dein Seelenheil. Deine Heiligkeit. Du hast dein Gelübde gebrochen und dich gegen Gott versündigt!«
»Die Liebe ist eine Gnade Gottes, das kostbarste Geschenk meines Lebens! Wieso muss ich wählen zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zu ihr? Zwischen der mystischen Sehnsucht in der Meditation und der Erfüllung im Akt der erotischen Liebe? Noch nie war ich so glücklich wie in den letzten Tagen, noch nie habe ich solch tiefe innere Freude empfunden.«
»Sie hat dir den Verstand geraubt!«
»Nein, Basilios, nur mein Herz.«
Es klopfte leise an der Tür, und sein Sekretär trat ein. »Kyrie Niketas, Kyrie Basilios ... Alessandra d'Ascoli bittet darum, von Eurer Seligkeit empfangen zu werden.«
Ich barg mein Gesicht in den Händen.
Basilios legte mir die Hand auf die Schulter. »Willst du mit ihr reden?«
Stumm schüttelte ich den Kopf.
Basilios wandte sich an seinen Sekretär: »Bitte richtet Kyria Alessandra aus, dass Seine Seligkeit sie nicht sehen will, weder heute Nacht noch in den nächsten Tagen. Sagt ihr, er fühle sich nicht wohl und brauche sehr viel Ruhe, damit er bis zum Beginn des Konzils wieder genesen ist.«
Ich fühlte mich, als habe mir jemand das Herz herausgerissen. Ich war traurig und einsam. Natanael war tot, Alessandra war für mich verloren, und Basilios konnte mir nicht vergeben. Nicht als Priester, nicht als Freund.
So viele Jahre waren wir Ordensbrüder gewesen, die sich ohne Worte verstanden, Vertraute, die keine Geheimnisse voreinander hatten, Freunde, die über ihre Träume, Hoffnungen und Ängste sprachen. Wir gerieten heftig aneinander, verloren beide die Beherrschung und stritten stundenlang. Seine scharfen Worte verletzten mich, als er mir gestand, wie sehr er mich verachtete, weil ich sie trotz allem, was sie mir angetan hatte, noch immer liebte. Weil ich mich nach ihr sehnte und sie begehrte. Weil ich nicht reumütig zu Kreuze kroch und mich wie Luca blutig geißelte. Diese Aufgabe übernahm Basilios nur zu gern: Er war meine Geißel, und er schonte mich nicht. In seinem ohnmächtigen Zorn darüber, dass er meine verlorene Seele nicht retten konnte, schlug er auf mich ein, und seine Hiebe rissen schmerzhafte Wunden, die so schnell nicht heilen würden.
Das Band, das uns all die Jahre in inniger Freundschaft verbunden hatte, zerfetzte an scharfkantigen Worten wie ›Heuchler‹ und ›Häretiker‹.
Am Morgen nach unserem erbitterten Wortgefecht packte ich meine Truhen, verließ ihn ohne Abschied und zog mit
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