Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Mitglied der Gilde sein konnte, hatte seine Drohung wahr gemacht: Eine bewaffnete Truppe verwehrte dem Patriarchen und allen anderen Gelehrten, die vor dem Palazzo d'Ascoli warteten, den Zutritt. Niemand durfte hinein, niemand heraus.
Der Palazzo d'Ascoli wurde belagert.
Die Zunftmeister der Ärzte und Apotheker sowie der Rechtsanwälte und Notare waren fest entschlossen, Lucas Testament anzufechten und Alessandras Unternehmen zu schließen. Es sei denn, sie verkaufte ...
Schließlich bat Alessandra den Prior in den Palazzo, um mit ihm zu verhandeln. Nach einer Viertelstunde öffnete Floriano in Kettenhemd, Helm und Harnisch erneut das Portal. Caedmon schob Sassetti mit Gewalt zurück auf die Piazza.
Alessandra hatte Sassettis Angebot, das sie als unverschämte Beleidigung bezeichnete, rundweg abgelehnt und war zu keinen weiteren Verhandlungen bereit.
Der gedemütigte Gildemeister, der als Prior Mitglied der Regierung von Florenz war, befahl den Sturm auf den Palazzo. Ein Rammbock wurde herangerollt, Leitern wurden herbeigetragen, Schwerter gezückt.
Patriarch Joseph, der sich noch immer auf dem Domplatz aufhielt, ermahnte Sassetti im Namen Jesu Christi, keine Gewalt anzuwenden und die unrechtmäßige Belagerung aufzugeben. Der aufgebrachte Prior drängte Seine Allheiligkeit derart ungestüm zur Seite, dass der Patriarch zu Boden stürzte.
In diesem Augenblick wurde ein Fenster im ersten Stock geöffnet, und Alessandra erschien mit einer gespannten Armbrust. »Keinen Schritt weiter!«, schrie sie zornig und zielte auf den Prior, der entsetzt vor ihr zurückwich.
Sein Freund war nicht so ängstlich. Er trat vor und zog sein Schwert. Alessandra hob die Armbrust, zielte über seinen Kopf hinweg und schoss. Der Bolzen blieb wenige Schritte hinter dem Gildemeister in der Wand der Kathedrale stecken. Die Wucht des Einschlags zertrümmerte mehrere Backsteine. Splitter flogen in alle Richtungen. Sofort lud sie nach, kurbelte die Armbrust schussbereit, legte an und zielte auf den Gildemeister. Sie war zu allem entschlossen.
Panisch kreischend stob die Menge auseinander, die die Konfrontation zwischen ihr und der Gilde gebannt beobachtet hatte, und floh außerhalb der Reichweite ihrer Armbrust.
Dann tauchte endlich Leonardo Bruni auf, der vom Palazzo della Signoria herbeigeeilt war. Er war entsetzt, als Alessandra ihm zurief, sie werde ihr Unternehmen nach Venedig verlegen. Der greise Kanzler überzeugte die Gildemeister und deren kampfbereite Gefolgsleute, dass ihr Exil in der Serenissima gewiss nicht im Interesse Seiner Heiligkeit des Papstes sei. Oder des Bannerträgers der Republik Florenz.
Wenig später erschien auch Cosimo und zeigte den Gildemitgliedern mehrere Dokumente - offenbar Lucas Testament, in dem er Cosimo zu seinem Erben ernannt hatte, die Schenkungsurkunde und seinen Gesellschaftsvertrag mit Alessandra.
Endloses Gerede unter den Zunftmitgliedern, die sich selbst nicht mehr einig waren und zu streiten begannen.
»Das ist ja fast wie auf dem Konzil!«, kommentierte Kardinal Cesarini trocken, nachdem er an meiner Seite dem Treiben eine Weile zugesehen hatte.
Entschlossen marschierte er zu den Gildemeistern hinüber, die vor dem Palazzo mit Cosimo verhandelten. Alessandra lehnte mit trotzig verschränkten Armen im Fenster ihres Scriptoriums und beobachtete das Treiben auf der Piazza.
Cesarini unterbreitete den Streitenden den Vorschlag, dass Alessandra, der durch Sassetti der Eintrag in die Gilderolle der Ärzte und Apotheker verwehrt wurde, Mitglied in einer anderen Zunft werden sollte.
»Sie ist Buchhändlerin! Wegen der Farbpigmente, die sie für die Buchmalerei verwendet, muss sie Mitglied in der Apothekerzunft sein!«, protestierte Sassetti.
»Nein, das muss sie nicht«, widersprach Cesarini. »Sie verhökert alte Bücher. Sehr alte Bücher. Soll sie sich doch in die Gilderolle der Altwarenhändler eintragen.«
Damit erklärte sich Alessandra schließlich einverstanden.
Unter bewaffnetem Geleitschutz von Tito und Tayeb verließ sie ihren Palazzo, um auf einem wackeligen Tisch mitten auf dem Domplatz unter notarieller Aufsicht von Marco Vespucci ihre Unterschrift auf der eilig herbeigeholten Gilderolle der Altwarenhändler zu leisten und die Gebühr zu entrichten.
Als die Zunftmitglieder murrend abzogen, gab sie Floriano das Zeichen, das Portal ihres Palazzos zu öffnen. Dann trat sie zum Patriarchen, verneigte sich ehrerbietig und küsste seine Hand. »Vergebt mir, dass Ihr ein wenig
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