Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
völlig verwahrlost. Sein Haar war verfilzt und so schmutzig, dass ich die Farbe nur erahnen konnte. Er trug eine viel zu große, abgewetzte blaue Samtjacke, deren Silberknöpfe von den ehemaligen Besitzern entfernt worden waren, und eine zerschlissene braune Hose, die ihm bis zu den Knien reichte. Die Füße hatte er mit zerlumpten Tuchstreifen umwickelt - Schuhe besaß er nicht.
Ich rief ihn, und er sah zu mir hoch. »Wie heißt du?«
»Angelo.«
»Hast du heute schon etwas gegessen, Angelo?«
»Nö.«
»Und gestern?«
»Nur'n Kanten hartes Brot.«
»Dann hast du wohl Hunger.«
»Und wie! Die verfluchten Dominikaner haben mir nichts gegeben. Bettelmönche!«, rief er voller Verachtung und spuckte aus. »Die haben doch noch nie gehungert und die Abfälle nach Essensresten durchwühlt!«
»Warte einen Augenblick!«
Ich kletterte hinab in meine Zelle und holte den Apfel, den ich mir als Abendessen aufgespart hatte. Dann stieg ich wieder hinauf zum Fenster und warf ihn zu Angelo hinunter. Doch der Junge konnte ihn nicht auffangen. Der Apfel fiel auf die Straße und kullerte zwei oder drei Schritte weit.
Angelo humpelte hinterher, hob ihn auf und biss gierig hinein, ohne ihn zuvor an seiner Kleidung abzuwischen.
»Danke!«, rief er mit vollem Mund.
Ich holte einen Fiorino aus dem Geldbeutel und nahm den gefalteten Zettel mit der Nachricht an Prospero.
Auf seine Krücken gestützt, blickte Angelo erwartungsvoll zu mir empor.
»Siehst du, was ich hier in der Hand halte?« Ich zeigte ihm die Goldmünze.
»'n Ducato.« Er biss in den Apfel und schmatzte.
»Einen Ducato mit dem Bild von San Giovanni, dem Schutzheiligen von Florenz. Ich werde ihn dir geben, wenn du mir einen Gefallen tust.«
Seine Augen leuchteten. »Was soll ich machen?«
»Ich möchte, dass du zur Piazza Navona gehst und diesen Zettel ...« Ich schob das Pergament durch die Gitterstäbe. »... an die »sprechende Statue‹ hängst. Kennst du sie?«
»Die Figur, an der die vielen Papierschnipsel hängen? Die kennt doch jeder.«
»Kannst du lesen, Angelo?«
»Nö, kann ich nicht.«
»Macht nichts. Also, was ist? Tust du mir den Gefallen?«
»Wenn ich den Ducato bekomme.«
»Den kriegst du, wenn du zurückkommst. Versprochen!« Ich warf die Nachricht an Prospero hinab, und er bückte sich sehr mühsam und hob sie auf. »Wenn du wieder da bist, schlag mit deiner Krücke gegen die Mauer. Ich werfe dann die Goldmünze hinunter.«
»Mach ich!«
Ich beobachtete ihn, wie er quälend langsam die Straße entlang in Richtung Pantheon hinkte und an der Ecke zur Piazza Rotonda aus meinem Blickfeld verschwand. Bis zur Piazza Navona war es nicht weit.
Während ich auf die Rückkehr des Jungen wartete, verfasste ich einen Brief an Niketas. Er müsse sich keine Sorgen um mich machen es gehe mir gut. Und er solle mir Tito und Tayeb nach Rom schicken. Ich faltete das Pergament in ein Schreiben an Cosimo, das ich mit dem etwas verschmierten Tintenabdruck meines Siegelrings versah.
Die römische Filiale der Banca Medici war nicht weit entfernt. Nach seiner Rückkehr vom Konzil in Konstanz hatte Cosimo drei Jahre lang die Filiale in Rom geleitet, bevor er nach dem Tod seines Vaters die Bank und das Handelsunternehmen erbte. Sein Nachfolger war der Bruder des Priors Scipione Sassetti. Ich hoffte, dass er nichts von unserer Auseinandersetzung wusste. Anderenfalls musste ich damit rechnen, dass er meinen Brief an Cosimo einige Tage auf seinem Schreibtisch ›vergaß‹.
Eine Viertelstunde später gab Angelo das verabredete Zeichen, und ich kletterte hinauf zum Fenster, um ihm den Fiorino hinabzuwerfen.
Der Junge strahlte, als er die funkelnde Goldmünze aufhob. »Hängt der Zettel an der Statue?«
»Wie Ihr es mir gesagt habt.«
»Hat dich jemand dabei gesehen?«
Er zögerte. »Da war'n Mann, der hat sich den Zettel angeguckt, sobald ich weg war.«
»Ist er dir gefolgt?«
Angelo schüttelte den Kopf. »Nö, glaub nicht.«
»Willst du dir noch mehr Ducati verdienen?«
»Na klar!«, grinste er keck.
»Dann bring diesen Brief zur Banca Medici, und gib ihn dem Leiter der Filiale, Signor Sassetti. Er soll ihn so schnell wie möglich nach Florenz schicken.«
»Mach ich.«
Ich warf das gefaltete Pergament zu ihm hinunter.
»Außerdem möchte ich, dass du jeden Tag nachsiehst, ob mein Zettel noch da ist. Und falls er abgerissen wurde, bringst du mir jeden, der an seiner Stelle dort hängt. Wirst du das tun?«
Er nickte.
»Dann komm morgen,
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