Der verlorne Sohn
Beschäftigung, daß sie weder hörten noch sahen, was geschah.
Die Thür hatte sich geöffnet und mit durch den Teppich gedämpften Schritten waren der Fürst und Doctor Zander eingetreten. Sie blickten lächelnd den Beiden zu. Endlich aber sagte Zander laut: »Gesegnete Mahlzeit, meine Herrschaften!«
Die beiden Ertappten fuhren herum. Marie stieß einen Schrei des Schreckens aus und wußte sich keinen anderen Rath, als daß sie blitzschnell nach dem Fenster sprang und sich dort hinter die Gardine steckte. Fels blieb stehen. Auch sein Gesicht erglühte, aber er verlor doch die Fassung nicht, sondern er antwortete: »Ich danke, Herr Doctor! Hatten Sie uns vielleicht zu dieser Mahlzeit eingeladen?«
»Ja.«
»Ah! Das ist verwunderlich!«
»Nicht so sehr. Ich wußte, daß Sie Appetit hatten.«
»Woher?«
»Es stand Einer zuweilen vor der Wohnung der Baronesse von Helfenstein und blickte mit solcher Sehnsucht nach den Fenstern, daß ich mir vornahm, ihm seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Bitte, Fräulein Bertram!«
Er holte sie hinter der Gardine vor. Wohl selten ist ein Mädchen so roth gewesen wie Marie in diesem Augenblicke. Ihr Gesicht glühte förmlich, und ihre Augen standen voller Thränen der Verlegenheit.
»Bitte, schämen Sie sich Ihrer Liebe nicht!« sagte der Arzt im freundlichsten Tone. »Auch ich habe mir in diesen Tagen eine Geliebte errungen; wir sind also Gefährten des Glückes.«
Vor ihm hätte sie sich vielleicht weniger genirt als vor dem Fürsten; aber der milde Blick des Letzteren stillte endlich auch Mariens Herzklopfen.
»Sie werden jetzt im Ernste fragen, weshalb ich Sie zu mir bestellt habe,« sagte Zander. »Errathen Sie es nicht, Herr Fels?«
»Nein.«
»Hat man Ihnen im Bezirkshause nichts gesagt?«
»Kein Wort.«
»Ja, ich hatte das gewünscht. Nun aber ist es an der Zeit daß Sie es erfahren. Ihre Mutter befindet sich bei mir.«
»Ach so! Also deshalb war sie nicht zu sprechen!«
»Ja, deshalb. Der Fall interessirte mich. Man hielt ihren geistigen Zustand für unheilbar.«
»Sie aber nicht?«
»Nein.«
»Herrgott, wenn Sie recht hätten!«
»Es wäre absolut unheilbar, wenn nicht die Möglichkeit vorhanden wäre, daß ein früheres Unglück jetzt für sie zum Glücke werden könnte.«
»Welches Unglück, Herr Doctor?«
»Ich meine ihre Blindheit. Ich hatte Gründe, Sie nicht zu benachrichtigen und habe daher nur Ungenaues erfahren, aber nicht wahr, Ihre Mutter ist nicht stets blind gewesen?«
»O nein. Sie wurde es erst vor ungefähr drei Jahren.«
»Aus welchem Grunde?«
»Es kam langsam, so nach und nach, ohne daß man den Grund erkennen konnte.«
»Hm! Das ist mir lieber, als wenn sie infolge eines plötzlichen Ereignisses, zum Beispiel einer Erkältung erblindet wäre. Solche Fälle sind fast stets hoffnungslos. Uebrigens haben wir es mit einem nicht unheilbaren Staar zu thun. Haben Sie früher Ärzte gehabt?«
»Zwei. Diese gaben sich weder Mühe noch Hoffnung. Wir waren ja arm und konnten nicht zahlen.«
»Es giebt ja Armenärzte!«
»Das waren die Beiden.«
»Ach so! Nun, ich will Ihnen gestehen, daß ich die Operation gewagt habe.«
»Herr Jesus! Ist sie gelungen?«
»Ich hoffe es. Eine Behauptung kann ich freilich nicht aufstellen. Doch ist heute die Zeit, die Binde zu lüften. Da Sie dabei sein sollen, habe ich Sie kommen lassen.«
»Welch’ eine Nachricht! Herr Doctor, ich bin Ihnen bereits so viel Dank schuldig! Sie verpflichten mich ja immer mehr!«
»Was ich thue, macht mir selbst Vergnügen. Ich darf wohl annehmen, daß Ihr Gesicht Ihrer Mutter bekannt sein wird, da sie erst seit nicht langer Zeit blind ist. Und ebenso ist ihr Fräulein Bertram hier bekannt?«
»Sie kennt uns Beide jedenfalls gleich genau.«
»Das ist gut. Ihr erster Blick wird auf Sie fallen. Ich hoffe, daß dieser Blick eine glückliche Wirkung auf den Zustand ihres Geistes hat.«
»Wenn das wäre, Herr Doctor! O, wenn es doch wäre!«
»Gott mag es geben! Ich verhehle aber nicht, daß auch eine gewisse Gefahr vorhanden ist. Sollte ihr geistiger Zustand jetzt noch heilbar sein, was ich aber ganz entschieden bezweifle, so kann ihre Seele durch die zu erwartende Aufregung in ewige, hoffnungslose Nacht versinken – oder es kann diese Aufregung eine solche Wirkung auf den Sehnerv haben, daß sie unheilbar wieder erblindet. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen. Sie sind der einzige Verwandte der Patientin. Sie haben zu erlauben, ob ich kühn sein darf oder
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